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Pflege

Umfrage: Pflegende Angehörige wenden mehr Zeit und Geld auf




Eine Frau mit ihrem pflegebedürftigen Ehemann
epd-bild/Klaus G. Kohn
Ernährung, Körperpflege, Medikamentengabe: Pflegende Angehörige müssen für derartige Tätigkeiten im Schnitt 49 Stunden pro Woche aufwenden. Das sind sechs Stunden mehr als 2019.

Berlin (epd). Die Belastung pflegender Angehöriger steigt. Sie müssen mehr Zeit und Geld aufwenden als in früheren Jahren, wie aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervorgeht, die am 21. Mai in Berlin vorgestellt wurde. Hätten die Befragten 2019 noch angegeben, 43 Wochenstunden für pflegende Tätigkeiten wie Ernährung, Körperpflege und Medikamentengabe zu benötigen, betrug die aufgewendete Zeit im vergangenen Jahr 49 Stunden.

Hohe Belastungen

„Die Belastungen, die aus der Pflege- und Betreuungsarbeit entstehen, waren und bleiben hoch“, sagte Antje Schwinger, Leiterin des Forschungsbereichs Pflege im WIdO. „Jeder vierte Befragte gab und gibt an, hoch belastet zu sein und die Pflegesituation 'eigentlich gar nicht mehr' oder 'nur unter Schwierigkeiten' bewältigen zu können.“ Am stärksten belastet sind der Untersuchung zufolge Haushalte, in denen Menschen mit Demenzerkrankung oder einem Pflegegrad ab 3 betreut werden.

Auch die finanzielle Belastung ist laut der Erhebung trotz höherer Leistungen aus der Pflegeversicherung gestiegen. Der mittlere Eigenanteil hat sich demnach von monatlich knapp 200 Euro im Jahr 2019 auf inzwischen 290 Euro im Monat erhöht.

Lediglich 46 Prozent der Hauptpflegenden arbeiten der Umfrage zufolge in Vollzeit. 37 Prozent haben eine Teilzeitbeschäftigung, 18 Prozent sind gar nicht beschäftigt. Bei den Teilzeitbeschäftigten gab mehr als die Hälfte an, die Arbeitszeit wegen der Pflege reduziert zu haben. Bei den Nicht-Erwerbstätigen haben 28 Prozent die Tätigkeit wegen der Pflege aufgegeben. Die Schwierigkeit, den Beruf und die Angehörigenpflege unter einen Hut zu bringen, trifft demnach überwiegend Frauen, denn sie stellen mit 67 Prozent den Großteil der Hauptpflegepersonen im erwerbstätigen Alter.

Hilfsangebote werden oft nicht angenommen

Die AOK-Vorstandsvorsitzende Carola Reimann erklärte: „Wenn pflegende Angehörige - überwiegend Frauen - die Arbeitszeit reduzieren oder ganz aufhören zu arbeiten, bereitet dies Tür und Tor für Altersarmut in der nächsten Generation der zu Pflegenden.“ Gleichzeitig fehlten diese Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Angebot und Nachfrage zur Vereinbarkeit von häuslicher Pflege und Beruf müssten in Einklang gebracht werden.

Gefragt wurde auch nach den vom Gesetzgeber geschaffenen Entlastungsangeboten für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Die Mehrheit der Befragten kenne diese Angebote zwar, habe sie aber bislang kaum in Anspruch genommen, geht aus der Studie hervor. Demnach machen nur drei Prozent von der Möglichkeit Gebrauch, sich bis zu sechs Monate vollständig oder teilweise von der Arbeit freistellen zu lassen. 73 Prozent der Befragten ist das Angebot aber bekannt. Das Anrecht, in einer akuten Pflegesituation bis zu zehn Tage bei Bezug von Lohnersatzleistungen der Arbeit fernzubleiben, nähmen mit 13 Prozent etwas mehr Personen in Anspruch, hier kenne allerdings nur etwa die Hälfte (55 Prozent) der befragten erwerbstätigen Hauptpflegepersonen ihren Leistungsanspruch.

AWO: Ergebnisse alarmierend

Die Mehrheit der Pflegebedürftigen greifen laut WIdO wenig auf vorhandene Unterstützungsleistungen zu. So gaben 32 Prozent der Befragten an, den Pflegedienst genutzt zu haben, 34 Prozent die Verhinderungspflege und jeweils acht Prozent die Tages- und Kurzzeitpflege. Antje Schwinger zu den Ursachen: „Hauptgrund für die Nichtinanspruchnahme von Unterstützungsleistungen durch pflegende Angehörige ist, dass die zu pflegende Person nicht von Fremden versorgt werden möchte. Fehlende Angebote vor Ort werden nur von einer Minderheit als Ursache genannt. Kostengründe spielen lediglich für rund jeden Fünften eine Rolle.“

Aus Sicht des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt (AWO) sind die Ergebnisse alarmierend. Dass pflegende Angehörige unter höchstem zeitlichen und finanziellen Druck stehen und auf Kosten der eigenen beruflichen und gesundheitlichen Stabilität die Fürsorge für ihre Lieben stemmen müssen, dürfe nicht als Normalzustand akzeptiert werden. „Wenn professionelle Pflege ein Armutsrisiko ist und Menschen nur versorgt werden können, weil ihre Familien sich für sie aufopfern, ist das eine Krise der Pflege“, erklärte der Verband.

Die Leistungen der Pflegeversicherung müssten das abdecken, was Pflege heute tatsächlich kostet. Sie müssten regelmäßig angepasst werden an die durch Lohnentwicklungen und Inflation steigenden Kosten.

Karsten Frerichs, Markus Jantzer