sozial-Politik

Bundesregierung

Lauterbach stellt Konzept zur Verhinderung von Suiziden vor




Wichtige Anlaufstelle bei Suizidgefahr: die Telefonseelsorge
epd-bild/Jens Schulze
Bundesgesundheitsminister Lauterbach will die Suizidrate senken. Dafür soll es eine bundesweite Notrufnummer und weitere Präventionsangebote geben. Besonders ältere Männer seien gefährdet, sagte Lauterbach. Kirchen und Sozialverbände begrüßten das Konzept, fordern aber eine verbindliche gesetzliche Regelung der Suizidprävention.

Berlin (epd). Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Suizidrate senken. Das Thema müsse „aus der Tabuzone“ herausgeholt werden, sagte er am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung der Suizidpräventionsstrategie der Bundesregierung. Zwar hätten sich die Zahlen seit den 80er Jahren fast halbiert, trotzdem seien die Selbsttötungen mit rund 10.000 pro Jahr immer noch hoch.

Um Betroffene zu erreichen und das Thema Suizid zu enttabuisieren, kündigt Lauterbach unter anderem eine Aufklärungskampagne und eine zentrale Krisendienst-Notrufnummer an, die gemeinsam mit den Ländern eingerichtet werden soll. Darüber hinaus sieht die Strategie vor, dass Fachkräfte im Gesundheitswesen für das Thema mit speziellen Schulungen sensibilisiert werden. Alle Beratungs- und Kooperationsangebote sollen von einer bundesweiten Stelle koordiniert werden.

Ältere Männer besonders gefährdet

Die Präventionsangebote sollen sich vor allem auf die betroffenen Hochrisikogruppen ausrichten, sagte Lauterbach. Dazu gehören etwa ältere Männer, die schon vorher psychische Probleme hatten. Diese Gruppe erreiche man beispielsweise in Krankenhäusern oder Seniorenheimen. Auch Menschen, die bereits einmal einen Suizidversuch unternommen haben, seien gefährdet. Für diese Menschen brauche es „eine systematische Betreuung“, kündigte Lauterbach an.

Neben Präventions- und Informationsangeboten kündigte der Gesundheitsminister auch praktische Maßnahmen, wie eine mögliche Reduktion der Packungsgrößen von Schmerzmitteln oder Schutzvorrichtungen wie hohe Zäune an leicht zugänglichen Brücken, Hochhäusern oder Bahnübergängen an. Hierzu sollen mithilfe eines pseudonymisierten Suizidregisters Orte festgestellt werden, an denen Menschen besonders häufig Suizid begehen oder es versuchen.

Kritik an zeitlich befristeten Beratungsangeboten

Die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, Ute Lewitzka, zeigte sich alarmiert über die hohen Suizidzahlen. 2022 seien diese um fast zehn Prozent angestiegen. „Die Zahlen zeigen uns, dass die bestehen Angebote und Hilfen nicht ausreichen“, sagte Lewitzka. Es gebe zwar schon viele regionale Angebote, diese seien aber oft zeitlich befristet finanziert. Sie forderte deshalb eine klare Verantwortungsübernahme für eine auskömmliche Finanzierung der Präventionsangebote und eine zeitnahe gesetzliche Verankerung der Präventionsstrategie.

Auch die Diakonie forderte die Regierung auf, die Suizidprävention verbindlich zu regeln. „Eine Strategie allein hilft Menschen mit Suizidgedanken nicht“, sagte Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch: „Wir brauchen jetzt ein Gesetz, das die Infrastruktur für eine wirksame Suizidprävention schafft.“

Schuch: Auch Telefonseelsorge muss ausgebaut werden

Um Menschen in Lebenskrisen besser zu erreichen, müssten bestehende Angebote gesichert und ausgebaut werden. Dazu zählt laut Schuch zum Beispiel die Telefonseelsorge, die rund um die Uhr für anonyme Gespräche bereitsteht, jedoch einen hohen Bedarf wahrnimmt, den sie nicht vollständig abdecken könne. Ein weiteres wichtiges Angebot, das es bisher nur in drei Bundesländern gebe, seien psychiatrisch-psychosoziale Krisendienste für Menschen mit Suizidgedanken und anderen psychischen Krisen.

Auch der katholischen Kirche reicht die vorgestellte Präventionsstrategie nicht aus. Der Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Prälat Karl Jüsten, und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) drängten ebenfalls auf eine gesetzliche Verankerung der Strategie. „Die heute veröffentlichte Strategie des Bundes zur Suizidprävention liefert zwar erste wichtige Bausteine für die Stärkung der Prävention in Deutschland. Ein Strategieplan ersetzt aber keine gesetzlichen Regelungen“, sagte ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp.

ZdK für rund um die Uhr erreichbare Anlaufstellen

Das ZdK erwarte, „dass Herr Lauterbach bis zum Sommer ein Gesetz zur Suizidprävention vorlegt, wie es der Deutsche Bundestag im Juli 2023 mit großer Mehrheit gefordert hat“. Aus Sicht des ZdK ist ein nachhaltiger Ausbau von professionellen sowie ehrenamtlichen Beratungs- und Hilfsangeboten wesentlich. Dazu zähle ein deutschlandweiter Präventionsdienst unter Einbezug von Telefonseelsorge, sozialpsychiatrischen Diensten und weiteren Versorgungseinrichtungen. Menschen mit Suizidgedanken und ihre Angehörigen sollten laut ZdK rund um die Uhr Anlaufstellen haben, die online und telefonisch erreichbar sind: „Für Menschen mit schwersten, todbringenden Erkrankungen muss das Palliativ-Angebot ausgebaut werden.“

Lauterbach kündigte an, das Suizidpräventionsgesetz in den kommenden Monaten vorlegen zu wollen. Der Bundestag hatte im vergangenen Juli mit großer Mehrheit beschlossen, dass die Bundesregierung bis Ende Januar ein Konzept zur Vorbeugung und bis Ende Juni auch ein Suizidpräventionsgesetz vorlegen soll.

Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts nehmen sich in Deutschland jährlich fast 10.000 Menschen das Leben. Somit ist die Anzahl der Suizide mehr als dreimal so hoch wie die der Verkehrstoten. Im Jahr 2022 stieg die Anzahl der Suizide von 9.215 im Vorjahr auf 10.119.

Lena Köpsell