Hannover, Berlin (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Diakonie Deutschland haben den jüngst vorgestellten Entwurf für ein Anti-Missbrauch-Gesetz begrüßt. Man unterstütze mit Nachdruck, dass die staatlichen Strukturen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt und zu deren Aufarbeitung deutlich gestärkt werden sollen, heißt es in einer am 29. April veröffentlichten Stellungnahme von EKD und Diakonie.
EKD und Diakonie „tun dies in der Verantwortung dafür, dass auch in der evangelischen Kirche und der Diakonie vielen Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Personen sexualisierte Gewalt angetan wurde. Die Aufklärung, Aufarbeitung und Anerkennung dieser Gewalt wie auch die Unterstützung und Beteiligung der betroffenen Personen sind bleibende Herausforderungen, denen sich die evangelische Kirche und Diakonie stellen“, ist in der Stellungnahme zu lesen.
Zugleich stellen Kirche und Diakonie aber auch Lücken in dem Entwurf fest. Das gelte insbesondere für die sehr wichtigen staatlichen Standardsetzungen zum Umgang mit sexualisierter Gewalt. „Zwar muss jede Institution, in der (...) sexualisierte Gewalt ausgeübt wurde, ihrer Verantwortung zur Aufarbeitung und Unterstützung betroffener Personen nachkommen. Nur der Staat aber kann gesamtgesellschaftlich verbindliche Standards setzen und so eine einheitliche und umfassende Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft vorantreiben und die Anerkennung erlittenen Unrechts gestalten“, heißt es in dem Papier. Hier bleibe der Entwurf jedoch leider hinter dem zurück, was die öffentliche Diskussion im Vorfeld erwarten ließ.
Die Bevollmächtigte der EKD in Berlin, Anne Gidion, und Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch, plädieren in der Stellungnahme für eine Aufnahme von Regelungen zu finanziellen Anerkennungsleistungen in das Gesetz. „Hier wäre es aus unserer Sicht hochbedeutsam, gesamtgesellschaftliche Standards für Anerkennungsleistungen in allen Kontexten zu definieren, in denen sexualisierte Gewalt stattfindet“, heißt es in dem Papier.
Und weiter: „Die aktuellen Fragen zur Neuregelung von Anerkennungsleistungen für Betroffene in Evangelischer Kirche und Diakonie könnten durch gesetzliche Standards, die gesamtgesellschaftlich gelten, eine wichtige Fundierung erhalten. Diese gesetzlichen Standards würden eine rechtssichere Gestaltung solcher Leistungen unterstützen.“ Daneben sei es wichtig, dass Betroffene aus allen gesellschaftlichen Kontexten einen Zugang zu Anerkennungsleistungen erhalten: „Für Betroffene wäre dies ein wichtiges Signal, dass sie gesamtgesellschaftlich das Recht auf Anerkennung erlittenen Unrechts haben.“
EKD, Diakonie und Betroffenenvertreter diskutieren schon seit Längerem im sogenannten Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt über eine Neuregelung der Anerkennungsleistungen, die zu einer Vereinheitlichung innerhalb der 20 Landeskirchen und der Diakonie-Landesverbände führen soll.
Das Bundesfamilienministerium hatte Mitte April einen Entwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ veröffentlicht. Kern des Gesetzes ist die Aufwertung und gesetzliche Verankerung des Amtes der Missbrauchsbeauftragten sowie die dauerhafte Einrichtung des Betroffenenrats und der Aufarbeitungskommission bei der oder dem Missbrauchsbeauftragten. Der Entwurf soll voraussichtlich Ende Mai im Bundeskabinett beraten werden.
Die bei der Missbrauchsbeauftragten angesiedelte Unabhängige Aufarbeitungskommission begrüßt den Entwurf ebenfalls, dringt aber auf die Erweiterung der Rechte für Betroffene und der Handlungsmöglichkeiten der Kommission. Die Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, Julia Gebrande, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), wenn man ein Recht auf individuelle Aufarbeitung verankern wolle, müssten Betroffene „Zugang zu all den Akten bekommen, die über ihre Person angelegt wurden“. Außerdem müssten „sie unterstützt werden, um die Informationen dann gut einordnen zu können“. Der Gesetzentwurf sieht ein Akteneinsichtsrecht bei Jugendämtern vor und auch fachliche Unterstützung für die Betroffenen. Unklar ist, ob die Finanzierung ausreicht.
Die Aufarbeitungskommission fordert in ihrer Stellungnahme, dass das individuelle Recht auf Aufarbeitung ausdrücklich im Gesetz verankert werden soll. Im Entwurf ist das nicht der Fall. Die Kommission begrüßt, dass ihr Aufgabenbereich ausgeweitet werden soll, kritisiert aber, dass dies mit der bisherigen Ausstattung nicht möglich sei.
Als wichtige Verbesserung würdigt die Aufarbeitungskommission die Berichtspflicht an Bundestag, Bundesrat und Regierung, der die Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus künftig nachkommen muss. Die Ampel-Koalition hatte sich darauf verständigt, um das Amt aufzuwerten und die Politik regelmäßig mit dem Thema zu befassen. Eine solche Berichtspflicht brauche es auch für die Kommission, sagte Gebrande dem epd, „weil den Berichten der Betroffenen damit mehr Gewicht verliehen wird“.