Gaggenau (epd). Peter Kochs Aussage überrascht, waren doch zuletzt vor allem die Nachtschichten in den öffentlichen Fokus geraten: „Uns fehlen schon mehr als 30 Prozent Personal. Ich denke, die Nachtdienstvorgaben sind für ein Pflegeheim mit einer durchschnittlichen Bewohnerschaft ausreichend, problematischer stellt sich hier der Tagdienst dar.“ Auch die oft diskutierte Absenkung der Fachkraftquote biete keine Lösung: Die könne nur mit einer Stärkung der Basis der qualifizierten Helfer einhergehen, an denen es auch fehle. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Jüngst machte bundesweit die Meldung die Runde, dass in einem Berliner Pflegeheim Feuerwehr und Polizei anrückten, weil die Nachtschicht nicht mit genügend Fachkräften besetzt werden konnte. Ist der Fall aus Lichtenberg ein einzelner oder kommt es öfter vor, dass Nachtschichten nicht „richtig“ besetzt sind, aber nur niemand darüber spricht?
Peter Koch: Es gibt sicherlich Fälle, in denen eine Besetzung des Nachtdienstes auch in anderen Einrichtungen schwierig ist und teilweise mit Unterbesetzung gefahren werden muss. Die Anwesenheit einer verantwortlichen Pflegefachperson wird jedoch in der Regel sichergestellt. Im Idealfall werden bei Unterbesetzungen die zuständigen Heimaufsichtsbehörden in Kenntnis gesetzt.
epd: Was sind die Ursachen der knappen Schichtbesetzung? Sind es nur die fehlenden Fachkräfte oder ist es auch der Sparkurs der Träger beim Personal, sodass bei Ausfällen die Fachkraftquote gerissen wird?
Koch: Wir sind in einer Zeit angekommen, da die Personaldecke flächendeckend sehr eng ist. Ausfallkonzepte wie Springer-Pools, die von der Politik als Allheilmittel angepriesen werden, sind nur in sehr geringem Umfang und dann meist nur bei größeren Trägern vorhanden. Es mag sicher einige Träger geben, die beim Personal versuchen einzusparen, jedoch sind sie durch die engen Personalvorgaben durch die unterschiedlichen Personalverordnungen der Länder zu einem festen Betreuungsschlüssel pro Nacht verpflichtet.
epd: Wie lässt sich ein Fall wie der in Berlin vermeiden?
Koch: Es ist erforderlich, konsequent nettobasierte Personaleinsatzplanungen vorzunehmen. Manche Einrichtungen arbeiten mit Rufbereitschaft oder im Ausnahmefall mit Springer-Pools. Aufgrund der engen personellen Ausstattung der Einrichtungen und der sich daraus ergebenden finanziellen Risiken wird es zukünftig immer mehr zu schwierigen Situationen kommen. Denn wird nicht das in den Pflegesatzvereinbarungen vereinbarte Personal vorgehalten, können Plätze nicht belegt werden und die Refinanzierung kippt. Bei einer aktuellen Ausfallquote in der Pflege, von allein durch Krankheit bei rund zehn Prozent, ist die Dauerspirale nur schwer zu durchbrechen.
epd: Sind die Vorgaben für die Nachtversorgung generell ausreichend oder sehen Sie hier Reformbedarf
Koch: Es ist ein generelles Problem der ausreichenden Personalbesetzung in den Einrichtungen. Wenn wir uns das „Rothgang-Gutachten“ anschauen, welches die Basis der Personalbemessung darstellt, fehlt uns aktuell schon mehr als 30 Prozent Personal. Ich denke, die Nachtdienstvorgaben sind für ein Pflegeheim mit einer durchschnittlichen Bewohnerschaft ausreichend, problematischer stellt sich hier der Tagdienst dar.
epd: Wie errechnet sich exemplarisch die Schichtbesetzung eines Heimes?
Koch: Das kann ich am Beispiel Baden-Württemberg zeigen, das Land mit den aktuell besten Personalschlüsseln. Bei Einrichtungen mit 60 Bewohnern, was heute im Bereich der Hausgemeinschaftenkonzepte eine gängige Einrichtungsgröße ist, sind laut LPersVO BA-Wü mit dem Schlüssel 1:45 zwei Mitarbeiter im Nachtdienst vorzuhalten. Das heißt, um das abzudecken, müssen 4,2 Vollzeitkräfte im Nachtdienst vorgehalten werden. Die Einrichtung hat bei einer durchschnittlichen Belegung rund 24 Vollzeitkräfte zur Verfügung, ergo stehen nach Abzug des Nachtdienstes noch rund 19,8 Vollzeitkräfte zur Verfügung. Rechnen wir das auf die einzelne Schicht in einem Haus zusammen, stehen pro Schicht im Tagdienst für 60 Bewohner 6 Vollzeitkräfte zur Verfügung (bei Krankheitsquote von Prozent), gehen wir von einer Krankheitsquote von zehn Prozent aus, sind es noch 5,1 Vollzeitkräfte pro Schicht.
epd: Stichwort Fachkraftquote: Immer mehr Heime schaffen sie nicht und müssen Teilbereiche schließen oder die Belegung stark zurückfahren? Das kann doch eigentlich auch nicht im Sinne des Erfinders sein, bei allem Wunsch nach guter Pflegequalität. Was wäre die Lösung?
Koch: Das Thema grassiert in den Medien und wird primär von Arbeitgeberverbänden befeuert. Wir haben aber nicht nur einen Pflegefachkraftmangel, sondern in manchen Regionen schlicht einen Personalmangel. Eine Absenkung der Fachkraftquote kann jedoch nur mit einer Stärkung der Basis der qualifizierten Helfer einhergehen, wie es auch nach der Personalbemessung (PeBeM) geplant ist. Die Anforderungen an das Personal in Pflegeeinrichtungen ist in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. Wir sind mit immer komplexeren Pflegesituationen konfrontiert. Hier bedarf es weiterhin einer hohen Fachlichkeit. Die Pflegefachpersonen müssen in die Lage versetzt werden, ihre Vorbehaltsaufgaben und die Aufsicht über das Hilfspersonal auszuüben. Das ist nur mit einer besseren personellen Ausstattung möglich. Jeder Pflegefachperson immer mehr Verantwortung aufzubürden, ohne den Rahmen entsprechend zu gestalten, dieser auch gerecht werden zu können, führt zu immer mehr Frust.