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Personalnot: Probleme nicht nur bei Nachtschichten




Dienstplan eines Pflegeheims in Bremen
epd-bild/Werner Krüper
Es war ein Ereignis, dass es vermutlich hierzulande noch nie gab: Eine Pflegekraft in einem Berliner Seniorenheim ruft Polizei und Feuerwehr, weil Fachpersonal für die Nachtschicht fehlte. Für die Einrichtung war das ein bedauerlicher Einzellfall. Doch Fachleute bestätigen die oft schlechte Personalausstattung in Nachtdiensten.

Frankfurt a. M., Berlin (epd). Der Noteinsatz von Rettungskräften und Polizei am 15. April in einem Pflegeheim der Domicil-Unternehmensgruppe in Berlin-Lichtenberg mit 170 Bewohnerinnen und Bewohnern schlug bundesweit hohe Wellen. So mancher sah darin nicht weniger als das Menetekel einer sich unaufhaltsam zuspitzenden Pflegekrise. Zwar hat sich die Aufregung längst gelegt. Aber noch immer stellt sich die Frage, ob dieses Ereignis als kurioser Einzelfall abgetan werden kann.

Die Gewerkschaft ver.di will genau das verhindern und weist auf die grundsätzlichen, politisch bedingten Probleme im System der Langzeitpflege hin: „Es ist unerträglich, dass so etwas vorkommt“, sagte Gisela Neunhöffer, stellvertretende Landesfachbereichsleiterin für Pflege in Berlin und Brandenburg, bei einer eilig anberaumten Anhörung zu dem denkwürdigen Vorfall im Berliner Abgeordnetenhaus.

Gut daran sei nur, dass durch den Vorfall der Personalmangel in den Pflegeheimen in den Fokus des politischen Interesses rücke. „Dieser Fall muss Anlass sein, die grundsätzlichen Probleme in den Blick zu nehmen und politisch zu handeln“, erklärte die Gewerkschafterin.

Gewerkschafterin nimmt Politik in die Pflicht

Der Berliner Senat, die Pflegekassen und die Leistungserbringer müssten jetzt Vereinbarungen treffen, wie Personalstandards auf Landesebene festgelegt und wirksam kontrolliert werden. Eine Mitschuld an den nächtlichen Zuständen in Pflegeheimen sieht Neunhöffer bei der Politik. Vor allem auf Landesebene bestehe Handlungsbedarf. Die Personalvorgaben für die Pflegeheime werden zwischen den Pflegekassen und den Verbänden der Leistungserbringer auf Landesebene in sogenannten Landesrahmenverträgen festgelegt. „In diesen Plänen muss festgeschrieben werden, wie viel Personal für die Patienten tatsächlich pro Schicht anwesend sein muss“, so die Gewerkschafterin.

Wie viel oder besser, wie wenig Personal tatsächlich nachts vor Ort ist, lässt eine Umfrage des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) aus dem Vorjahr erkennen. Befragt nach der Personalbesetzung in den Diensten zu ungünstigen Zeiten wurden beruflich Pflegende aus dem Krankenhaus und der stationären Langzeitpflege. Knapp 3.500 Antworten wurden ausgewertet. Erschreckendes Ergebnis: 55 Prozent der Befragten versorgten 20 bis 40 Menschen im Nachtdienst, aber fast ein Fünftel kreuzte die Zuständigkeit für 80 Personen und mehr an.

Verband: „Daten bestätigen Befürchtungen“

Dass das keine Momentaufnahme, sondern die Regel sei, gaben mehr als 93 Prozent der Pflegekräfte an: die Angaben entsprächen dem Durchschnitt des vergangenen Monats. Die Anschlussfrage nach einer etwaigen Unterstützung verneinten rund 39 Prozent, etwas mehr, 46 Prozent, haben immerhin mindestens eine Pflegehilfsperson an der Seite.

„Leider bestätigen die Daten zu Teilen unsere Befürchtungen“, sagte DBfK-Präsidentin Christel Bienstein. „Die Zahlen zeigen eine erhebliche Belastung der beruflich Pflegenden mit einer viel zu hohen Zahl von Bewohnern, um die sie sich nachts kümmern müssen. So kann man niemandem gerecht werden, geschweige denn gut und sicher pflegen.“

Nächtliche Versorgung „mehr schlecht als recht“

„Bei den Ursachen addiert sich eins zum anderen: natürlich gibt es einen Pflegepersonalmangel, auch weil die Bezahlung in der Langzeitpflege trotz etlicher Steigerungen und den Tariftreuevorschriften immer noch unter der im Krankenhaus liegt. Auf der anderen Seite gibt es große private Träger, die im Streben nach hoher Rendite Personalkosten sparen, wo sie nur können“, teilte der DBfK auf Anfrage mit.

„Das zugrundeliegende Problem ist leider nicht neu“, sagte David Kröll vom BIVA Pflegeschutzbund dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir hören oft von knapp besetzten Stationen, Problemen bei der Übergabe oder von zu wenigen Fachkräften, die mit Hilfskräften zu viele Bewohnerinnen und Bewohner versorgen müssen. Sprich: man hält die Versorgung - insbesondere nachts - mehr schlecht als recht aufrecht.“

In den vergangenen Jahren wurden die Probleme laut Kröll tendenziell schlimmer, denn Heimbewohnerinnen und -bewohner seien durchschnittlich stärker pflegebedürftig als früher, denn heute bleibt man, solange es geht, zu Hause: „Das bedeutet, dass besonders nachts mehr zu tun als früher, als zumindest ein Teil der Bewohnerschaft durchgeschlafen hat und nachts keine Hilfe benötigte.“

Schnelle Problemlösung nicht in Sicht

Schnell zu lösen seien diese akuten Personalprobleme nicht, sagte Kröll. Auf der Suche nach Abhilfe diskutierten Expertinnen und Experten meist ein Bündel an Maßnahmen, die größtenteils frühestens mittelfristig wirken können: Verbesserung der Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung und Tarifbindung, Förderung von Qualifikation, internationale Rekrutierung sowie die Verbesserung der Rahmenbedingungen und Aufwertung des Pflegeberufs. „Eigentlich müsste alles gleichzeitig umgesetzt werden, sprich: Eine umfassende strukturelle und finanzielle Reform der Pflegeversicherung müsste her, für die es auch Vorschläge gibt.“

Das sieht auch Peter Koch so. Weil die Personaldecke in der Heimpflege generell knapp sei, bereiteten nicht nur die Nachtschichten Probleme, so das Vorstandsmitglied der Landesgruppe Baden-Württemberg des Bundesverbandes Pflegemanagement, der Geschäftsführer der Gaggenauer Altenhilfe ist. „Uns fehlen aktuell schon mehr als 30 Prozent Personal.“ Deshalb gebe „es sicherlich Fälle, in denen eine Besetzung des Nachtdienstes auch in anderen Einrichtungen schwierig ist und teilweise mit Unterbesetzung gefahren werden muss“. Die Anwesenheit einer verantwortlichen Pflegefachperson werde jedoch in der Regel sichergestellt. „Ich denke, die Nachtdienstvorgaben sind für ein Pflegeheim mit einer durchschnittlichen Bewohnerschaft ausreichend, problematischer stellt sich hier der Tagdienst dar“, so Koch.

Auch die oft diskutierte Absenkung der Fachkraftquote biete keine Lösung, betont der Vorstand: „Das Thema grassiert in den Medien und wird primär von Arbeitgeberverbänden befeuert.“ Man habe aber nicht nur einen Pflegefachkraftmangel, sondern in manchen Regionen schlicht einen Personalmangel. „Eine Absenkung der Fachkraftquote kann nur mit einer Stärkung der Basis der qualifizierten Helfer einhergehen, an denen es jedoch auch fehlt.“

Dirk Baas


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