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Pflege

Interview

Pflegerats-Chefin Vogler: "Es müsste alles schneller gehen"




Christine Vogler
epd-bild/Reiner Freese/X21.de
Pflegekräfte schwanken zwischen Tatkraft und Frustration, sagt die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler. Im Interview schildert Vogler, wie groß die Herausforderungen sind und warum sie dennoch optimistisch für die Zukunft ist.

Berlin (epd). Christine Voglers Zwischenbilanz der Ampel-Pflegepolitik fällt durchwachsen aus: „Wir hätten uns mehr erwartet, und es müsste schneller gehen.“ Aber es gebe auch gute erste Reformschritte, etwa das Gesetz zur Ausweitung der Kompetenzen für Pflegekräfte und die künftig bundeseinheitliche Pflegeassistenzausbildung. Dass die Heime wegen Personalnot ihre Kapazitäten reduzierten, sei indes eine „Riesenproblematik“, um die sich die Politik dringend kümmern müsse. Mit ihr sprach Bettina Markmeyer.

epd sozial: Frau Vogler, wie geht es der Pflege?

Christine Vogler: Durchwachsen, würde ich sagen. Die Pflegekräfte schwanken zwischen der Überzeugung, dass ihr Beruf der richtige ist, und großer Frustration. Ihre Arbeitssituation ändert sich nur langsam. Andererseits verändern sich die Dinge zumindest im Rahmen der Gesetzgebung positiv.

epd: Welche Veränderungen meinen Sie?

Vogler: Das Gesetz zur Ausweitung der Kompetenzen für Pflegekräfte wird gerade erarbeitet, daran sind wir als Deutscher Pflegerat beteiligt. Bald soll die bundeseinheitliche Pflegeassistenzausbildung kommen. Gut ausgebildete Assistenzkräfte entlasten Fachkräfte und verbessern die Personalsituation. Das Pflegestudium soll mehr Gewicht bekommen, wir haben die Debatte über die Aufteilung der Aufgaben im Gesundheitswesen. Die Tariftreueregelung wirkt. Außerdem ist die Pflege als Berufsgruppe besser vertreten: Seit 2022 gibt es finanzielle Zuwendungen des Ministeriums an den Pflegerat. Das sind Signale, die wir vorher nicht erfahren haben.

epd: Auch nicht vom vorigen Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU) mit dessen diversen Pflegegesetzen?

Vogler: Nicht in dieser Form. Jens Spahn hat allerdings die tarifliche Bezahlung gesetzlich verankert. Das war sehr wichtig.

epd: Verdienen Pflegekräfte heute besser?

Vogler: Ja, die vorige Regierung hat die Tariftreueregelung in Gang gebracht, und die heutige Bundesregierung sorgt dafür, dass sie nicht unterlaufen wird. Wir haben in den zurückliegenden zwei Jahren sehr viel bessere Löhne erreicht. Aber wir dürfen zwei Dinge nicht vergessen: 60 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Teilzeit. Und: Nach dem Comparable Worth-Index war die Pflege vom Verantwortungs- und Belastungsgrad bereits vor einigen Jahren bei einem Einstiegsgehalt von 4.000 Euro angesiedelt.

epd: Mit dem Index wird die Leistung in typischen Frauen- und Männerberufen vergleichbar gemacht und daraus die eigentlich notwendige Bezahlung in den Frauenberufen abgeleitet.

Vogler: Und da sind wir noch nicht. Das muss man wissen, wenn wir von einer guten Bezahlung der Pflegefachpersonen reden.

epd: Im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP rund 15 Verbesserungsvorhaben für die Pflege vereinbart, vieles ist noch nicht erledigt. Was muss noch kommen?

Vogler: Für besonders wichtig halte ich die Kompetenzerweiterung für Pflegekräfte, die in eine neue Verteilung der Aufgaben der Gesundheitsberufe münden sollte. Dabei geht es nicht darum, dass wir ärztliche Aufgaben übernehmen. Es geht darum, dass wir das tun können, was zu einem Pflegeprozess gehört und auch die Verantwortung dafür übernehmen. Wenn zum Beispiel ein Mensch mit einer Venenerkrankung chronische Wunden entwickelt, dann sollte ich als Pflegekraft handeln und die Wunden versorgen können - ohne Rückgriff auf einen Arzt - und meine Arbeit auch abrechnen können.

epd: Wie ist Ihre Zwischenbilanz der Ampel-Pflegepolitik?

Vogler: Wir hätten uns mehr erwartet, und es müsste schneller gehen. Aber es steht uns auch der Föderalismus im Weg. Wir haben in Deutschland zu viele Regionalstrukturen: Darunter leidet die Pflege, aber auch die Gesundheitsversorgung. Es ist ein kostspieliges System, das sich selbst erhält. Wir bräuchten das Geld aber woanders.

epd: Wo denn?

Vogler: Für die pflegenden Angehörigen zum Beispiel. Wir aus der Pflege wissen, was drei Millionen pflegende Angehörige jeden Tag wegstemmen. Wir wissen, dass viele die ihnen zustehenden Hilfen nicht abrufen, weil das zu kompliziert ist, weil es zu bürokratisch ist und weil es zu lange dauert. Das darf nicht sein! Die Angehörigen sichern die pflegerische Versorgung ab.

epd: Die Ampel-Koalition hat das Pflegegeld um fünf Prozent erhöht, künftig soll es alle drei Jahre angepasst werden.

Vogler: Ja, aber das ist zu wenig. Wir müssen an die Frage, wie die Pflege künftig organisiert werden kann, grundsätzlicher herangehen: Welche Rolle spielen Angehörige und Ehrenamtliche, was leistet die professionelle Pflege? Die Kosten der Pflege explodieren ja schon heute. Es ist egal, wie herum wir es drehen: Entweder wird es in meinem Portemonnaie explodieren, weil ich mehr Sozialabgaben zahlen muss - oder es wird in meinem Portemonnaie explodieren, weil ich jemanden zu Hause oder im Heim habe, den ich unterstützen muss. Wir müssen uns ehrlich machen: Was kommt auf uns zu?

epd: Vor 30 Jahren haben Bundestag und Bundesrat die Pflegeversicherung beschlossen, um die Kosten der Altenpflege auf alle Bürgerinnen und Bürger umzulegen. Nun gibt es wieder düstere Szenarien: Stichworte sind Fachkräftemangel und Alterung der Gesellschaft. Wie gehen Sie damit um?

Vogler: Zunächst einmal nehme ich wahr, was gegenwärtig passiert: Heime reduzieren ihre Kapazitäten. Sie nehmen nicht mehr 100 Menschen auf, sondern haben plötzlich nur noch 80 Plätze. Wenn das alle machen, würde das Leistungsangebot um 20 Prozent reduziert. Das hat natürlich massive Auswirkungen. Krankenhäuser können Patienten nicht mehr in ein Heim entlassen, weil keine Plätze frei sind. Sie können sie auch nicht nach Hause entlassen, weil keine ambulanten Dienste da sind. Das ist eine Riesenproblematik. Wie wird das weitergehen? Wie bringen wir solche Dinge, die viele von uns erleben, in die Politik ein? Was erwarten wir von der Politik? Parallel sehe ich in der Gesellschaft neue, tolle Ideen. Ich habe neulich mit Menschen gesprochen, die haben - so wie man in den 1970er Jahren Kinderläden gründete - gemeinsam eine Tagespflege für ihre Angehörigen gegründet. Es gibt auch bei den Pflegefachpersonen einen starken Willen zu Verbesserungen: Jede einzelne Pflegekraft hat gute Ideen. Ich bin optimistisch und werde mich weiter engagieren.

epd: Sie engagieren sich seit Jahrzehnten für die Pflege. Wann haben Sie diese Entscheidung getroffen?

Vogler: Ich glaube, das war gar keine bewusste Entscheidung. Ich komme aus der evangelischen Jugendarbeit und bin der festen Überzeugung, dass die Gesellschaft, in der wir leben, nicht ohne Engagement jedes Einzelnen existieren kann. Als ich den Pflegeberuf erlernt habe, merkte ich sofort: Hier ist etwas eklatant nicht in Ordnung. Also habe ich mich engagiert. Bevor ich Präsidentin des Pflegerats wurde, habe ich in Berlin zwölf Jahre lang Landespflegeratsvertretung gemacht und war im Bundesverband für die Lehrenden. Eine Gesellschaft, die die Solidarität mit denen aufgibt, die pflegebedürftig sind, ist keine Gesellschaft, in der ich leben möchte.

epd: Erleben Sie unter den Pflegekräften, die ja schon lange unter Bedingungen arbeiten, die „nicht in Ordnung sind“, eine stärkere Hinwendung zu rechtspopulistischen Politikern?

Vogler: Es gibt bei den Pflegenden dieselben Tendenzen wie in der Bevölkerung auch. Auch Pflegende finden keinen Kitaplatz, müssen überhöhte Mieten zahlen, finden kein Gehör für ihre Anliegen. Darauf reagieren die Menschen - manchmal auch mit ihrer Wahlentscheidung. Wir haben darüber natürlich keine Zahlen.

epd: Sie haben mehrfach erklärt, das Ethos der Pflege lasse sich mit einer rechtsradikalen Einstellung nicht vereinbaren. Werden Sie dafür angefeindet?

Vogler: Nein. Aus den eigenen Reihen, den Pflegeverbänden, haben wir große Unterstützung. Anders ist es allerdings in den sozialen Medien.

epd: Wie begründen Sie die Unvereinbarkeit?

Vogler: Wir sind ein Berufsstand, der sich Menschen zuwendet, egal welcher Herkunft, Kultur, sozialen Stellung oder geschlechtlichen Orientierung. Das ist unser Berufsethos - es bildet ein Gegengewicht zu Abwertung und Ausgrenzung. In der Pflege arbeiten bis zu 1,7 Millionen Menschen. Ich glaube, dass unsere Berufsgruppe eine große Kraft hätte, für die Demokratie zu wirken - eben aus diesem Bewusstsein heraus, dass die Menschen gleich sind. Das sehen wir im täglichen Umgang mit den uns anvertrauten Menschen und mit unseren Kolleginnen und Kollegen.