Hannover, Frankfurt a. M. (epd). Die vierjährige Frida ist aufgeregt. Einmal in der Woche ist „Regina-Tag“. Dann holt Wunsch-Oma Regina Ragoschat sie vom Kindergarten in Hannover ab und verbringt den Nachmittag mit ihr. Die 74-Jährige, die selbst keine Kinder hat, ist schon seit vielen Jahren Wunsch-Oma. Bundesweit gibt es zahlreiche derartige Initiativen, die sogenannte Leihomas und Leihopas vermitteln. Die Nachfrage nach ihnen ist meist groß.
Frida ist das vierte Wunsch-Enkelkind von Ragoschat. Das Mädchen mit dem blonden Zopf wuselt durch das Wohnzimmer des Reihenhauses und holt einen Stoffbären aus einer Kiste: Er ist krank und muss untersucht werden. Die frühere Intensivkrankenschwester Ragoschat reicht Frida noch ein Stethoskop. „Teddy hat Husten“, verkündet die Vierjährige. Ragoschats Mann, seit seinem Ruhestand Wunsch-Opa, überlegt mit ihr gemeinsam, wie das Kuscheltier wieder gesund werden könnte. Frida möchte schließlich eine Schüssel „Salat-Suppe“ kochen.
Laut der Frankfurter Soziologin Birgit Blättel-Mink haben die meisten Leihgroßeltern keine eigenen Enkel oder ihre Enkelkinder wohnen weit entfernt. Daher suchten sie oft nach dieser ehrenamtlichen Aufgabe, sagt die emeritierte Professorin, die das Thema der Leihgroßeltern in einer Studie 2016 untersucht hat.
Leihgroßeltern werden häufig von Wohlfahrtsverbänden oder auch Agenturen vermittelt. In Hannover bringt das Diakonische Werk Wunschgroßeltern und Familien zusammen und achtet auf die Rahmenbedingungen. 64 solcher ehrenamtlichen Großmütter und -väter betreuten regelmäßig Wunsch-Enkelkinder, es gebe eine Warteliste, sagt Koordinatorin Denise Rose. Wer über 50 Jahre alt sei und sich den Kontakt zu jüngeren Menschen wünsche, Lebenserfahrung weitergeben und mobil bleiben möchte, könne sich für das Ehrenamt melden.
Aus Sicht von Blättel-Mink profitieren Kinder häufig von der Bindung zu Menschen der älteren Generation. Diese Beziehung sei nicht durch das Verhältnis zu Eltern oder Erziehern zu ersetzen und berge ganz eigene Qualitäten. So erlebten die Kinder im Kontakt mit den Großeltern Freiräume, die sie an anderen Orten nicht erfahren könnten. Sie könnten über Dinge sprechen, die sie nicht mit ihren Eltern thematisierten. „Bei den Großeltern stehen sie ganz und gar im Mittelpunkt“, sagt Blättel-Mink.
Auch Frida genießt an diesem Nachmittag sichtlich die alleinige Aufmerksamkeit von gleich zwei Erwachsenen. Die vielen Mitbringsel von Fernreisen des Ehepaars - Musikinstrumente beispielsweise - sind für Frida besonders spannend, und so probiert sie gleich eine große Trommel lautstark aus. Als die Vierjährige müder wird, liest Wunsch-Oma Regina auf dem Sofa aus einem Buch vor. An manchen Nachmittagen machen sie Ausflüge in den Zoo oder ins Museum.
Fridas Mutter ist dankbar für die Beziehung zu den Wunschgroßeltern. Ihre eigenen Eltern wohnten mehr als 150 Kilometer weit weg und seien zudem noch berufstätig, erzählt sie. Zunächst seien Fridas „echte“ Großeltern nicht sonderlich begeistert über die zusätzliche Oma und den zusätzlichen Opa gewesen. „Für uns sind die beiden aber eine unheimliche Entlastung“, sagt Fridas Mutter. Im Gegenzug könne sie dem Ehepaar mitunter bei kleineren Alltagsdingen helfen, etwa wenn „der Fernseher mal verstellt ist“.
So sehr das Modell „Wunschgroßeltern“ auf den ersten Blick nach einer Win-win-Situation aussieht: Soziologin Blättel-Mink gibt zu bedenken, dass es durchaus auch Spannungen in einer solchen Konstellation geben kann. Einerseits falle es vielen Wunschgroßeltern leichter als leiblichen Großeltern, sich von den Familien abzugrenzen. Andererseits falle es ihnen mitunter aber nicht ganz so leicht, sich beispielsweise in Erziehungsfragen nicht einzumischen. „Es entsteht eben eine sehr enge Bindung“, unterstreicht Blättel-Mink. Kommunikation und Verständigung seien in diesem Konstrukt oft noch wichtiger als in der eigenen Familie.