sozial-Politik

Schwangerschaftsabbrüche

Interview

Beraterin: Gratis-Verhütungsmittel würden Abtreibungszahl senken




Sabine Simon
epd-bild/Simon
In Deutschland wird wieder über die gesetzliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen diskutiert. Am 14. April hat eine Kommission der Bundesregierung empfohlen, dass Abtreibungen in einem frühen Stadium - anders als bisher - nicht mehr Straftat sein sollen. Beraterin Sabine Simon erläutert im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), warum sie eine solche Änderung befürwortet.

München (epd). Sabine Simon ist Leiterin der staatlich anerkannten Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen im Evangelischen Beratungszentrum München. Sie begrüßt die Vorschläge der Kommission und sagt: „Das wäre eine richtige, zeitgemäße und angemessene Entscheidung, die nicht dazu führen würde, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche steigt.“ Die Fragen stellte Christiane Ried.

epd sozial: Frau Simon, in Deutschland wird darüber debattiert, ob Schwangerschaftsabbrüche in einem frühen Stadium legal sein sollen. Was meinen Sie?

Simon: Ich bin dafür, dass Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten zwölf oder 14 Wochen legalisiert und nicht mehr als rechtswidrige und nur in Ausnahmefällen straffreie Straftat im Strafgesetzbuch definiert werden. Das wäre meines Erachtens eine richtige, zeitgemäße und angemessene Entscheidung, die nicht dazu führen würde, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche steigt.

epd: Warum sind Sie sich da so sicher?

Simon: Vielen Frauen ist gar nicht bewusst, dass ein Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche bislang offiziell als Straftat gilt. Das bekommen sie dann oft erst in den Pflichtberatungsgesprächen mit. Nach meiner Erfahrung hat das aber auch noch keine Frau davon abgehalten, einen Abbruch vornehmen zu lassen.

epd: Vor allem die Unions-Parteien wehren sich mit zum Teil harschen Worten gegen eine mögliche Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Warum eigentlich?

Simon: Gegnern von Schwangerschaftsabbrüchen geht es um den Schutz des ungeborenen Lebens - dass also mehr Frauen sich für ihr ungeborenes Baby entscheiden. Und da zeigen Studien seit Jahren recht klar, was die Politik tun müsste, um die Zahl der ungewollten Schwangerschaften zu verringern: Es braucht unter anderem eine gute Aufklärung und einen kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln, zumindest für Frauen mit geringem Einkommen. Da hat Deutschland einen Nachholbedarf. Verhütungsmittel, insbesondere die für Frauen, sind ja nicht gerade günstig. Und dennoch wird es, trotz der besten Prävention, immer ungeplante und unerwünschte Schwangerschaften geben.

epd: Die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) sieht den gesellschaftlichen Frieden in Gefahr, wenn Paragraf 218 abgeschafft würde. Ist es wirklich so schlimm?

Simon: Nein, ich sehe das etwas anders. Es gab noch nie einen wirklichen gesellschaftlichen Konsens oder „Frieden“ in der Debatte um den Schwangerschaftsabbruch. Das wird vielleicht auch nie der Fall sein. Es gibt seit einigen Jahren wieder ein breites Engagement von vielen Menschen, vor allem der jüngeren Generation, für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Wir dürfen, wie ich finde, dieser Debatte nicht ausweichen.

epd: Deutschland hat die UN-Frauenrechtskonvention vor vielen Jahren ratifiziert und wird regelmäßig gerügt für die Regelung im Strafgesetzbuch. Was genau wird Deutschland vorgeworfen?

Simon: Das sind wohl im Wesentlichen drei Punkte, die neben der Kritik an der strafrechtlichen Regelung immer wieder genannt werden: die Pflichtberatung, die drei Tage Wartezeit nach der Beratung und die fehlende generelle Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen. Das alles entspricht im Übrigen auch nicht den aktuellen Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation zum Schwangerschaftsabbruch.

epd: Hat sich denn etwas seit dem abgeschafften Werbeverbot vor zwei Jahren getan? Hat sich die Versorgung für die Frauen verbessert? Oder lassen jetzt mehr Frauen eine Abtreibung durchführen?

Simon: Nein. Allein das Wort „Werbeverbot“ finde ich schon irreführend. Kein Arzt hat meines Wissens je für Abbrüche geworben - im Sinne von drei zum Preis von zwei. Es geht um sachliche Informationen darüber, bei wem oder wo ein Abbruch vorgenommen werden kann und wie er abläuft. Mehr nicht. Die Zahl der Abbrüche in Deutschland hat sich seit Jahren um die 100.000 pro Jahr eingependelt. Ich habe auch gar nicht wahrgenommen, dass Arztpraxen oder Kliniken seitdem mehr auf ihrer Homepage informieren oder ihre Adresse auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlichen. Im Gegenteil: Es ist für betroffene Frauen immer noch mühsam, herauszufinden, wo man eine Schwangerschaft beenden kann. Und die Versorgungslage in Bayern, ist, wie gesagt, in vielen Teilen auch nicht besser geworden.

epd: Sie arbeiten in einer evangelischen Beratungsstelle. Was sagt denn eigentlich Ihre Kirche zu Schwangerschaftsabbrüchen?

Simon: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Diakonie Deutschland und die Evangelische Konferenz für Familien- und Lebensberatung durften für die Kommission jeweils eigene Stellungnahmen verfassen. Die Antworten sind bei allen sehr differenziert ausgefallen, wie ich finde. Grundsätzlich sprechen sich alle drei für eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur zwölften Woche aus sowie für eine Beratungsstruktur. Ob es dabei weiterhin eine verpflichtende psychosoziale Beratung geben sollte, dazu gibt es unterschiedliche Schlussfolgerungen und noch keine abschließende Haltung.

epd: Vor allem die Unions-Parteien und konservative Stimmen warnen vor einem Wegfall der Pflichtberatung. Was sagen Sie dazu?

Simon: Da schlagen tatsächlich zwei Herzen in meiner Brust. Frauen sollen natürlich nicht bevormundet oder als Opfer behandelt werden. Die meisten wissen, was sie tun und was sie wollen. Viele Beratebn sagen uns aber auch, dass sie vermutlich freiwillig nicht gekommen wären - aus Scham, aus Angst vor Belehrungen und Beeinflussung, aus Unwissenheit, was professionelle psychosoziale Beratung eigentlich ist. Die Hemmschwelle, eine Beratung aufzusuchen, ist einfach auch für viele hoch. Von daher: Sollte eine Pflichtberatung wegfallen, dann sollte man sich klarmachen, dass einige Frauen durchs Raster fallen, und überlegen, wie man diese doch erreicht.



Mehr zum Thema

Abtreibungsrecht: Verbände gegen voreilige Entschlüsse

Deutschland diskutiert wieder über eine Reform des Abtreibungsrechts. Den Anstoß gab eine Kommission der Bundesregierung, die nun ihren Bericht vorgelegt hat. Darin rät sie zu einer Liberalisierung des Rechts bei Schwangerschaftsabbrüchen. Hörbare Kritik an möglichen Reformen kommt vor allem von katholischen Verbänden.

» Hier weiterlesen