Berlin (epd). Der Geschlechtseintrag einer Person kann beim Standesamt künftig deutlich einfacher geändert werden. Mehrheitlich stimmte der Bundestag für das Selbstbestimmungsgesetz. Für trans- und intergeschlechtliche Menschen sowie Personen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, wird die Änderung des Geschlechtseintrags damit ein bloßer Verwaltungsakt. Derzeit sind ärztliche Begutachtungen mit intimsten Fragen und ein Gerichtsverfahren dafür notwendig, was von Betroffenen als entwürdigend empfunden wird.
In namentlicher Abstimmung votierten 374 Abgeordnete für das Gesetz. 251 stimmten mit Nein, 11 Parlamentarier enthielten sich.
Auch für Minderjährige kann künftig der Geschlechtseintrag geändert werden. Jugendliche ab 14 Jahren brauchen dafür die Zustimmung der Eltern. Bis zum Alter von 14 Jahren können Eltern eine Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags abgeben - nicht aber gegen den Willen des Kindes. Ab dem Alter von fünf Jahren muss das Kind dabei zustimmen.
Insbesondere die Möglichkeit für Minderjährige kritisierte die Union. Die Schutzfunktion des Staates gegenüber Kindern und Jugendlichen werde vernachlässigt, sagte die CDU-Abgeordnete Mareike Lotte Wulf. Zudem werde möglichem Missbrauch nichts entgegengesetzt.
Kritik am Gesetz kam auch von der AfD, die das Gesetz als „ideologischen Unfug“, geißelte sowie dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). „Das Geschlecht wird von einer biologischen Tatsache zu einer Frage der Gemütsverfassung“, sagte Sahra Wagenknecht. Zu Beginn der Debatte und nach der Rede von Wagenknecht mahnte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke), die die Sitzung leitete, zu Respekt und Sachlichkeit in der von vielen besonders erregt geführten Debatte.
Redner und Rednerinnen der Koalition stellten die Rechte der Minderheit der trans- und intergeschlechtlichen Menschen in den Mittelpunkt. Die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr erinnerte daran, dass Teile des bisherigen Transsexuellengesetzes, das Gutachten zur Voraussetzung eines Geschlechtswechsels macht, bereits in der Vergangenheit vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig kassiert worden waren. Der Queer-Beauftragte der Regierung, Sven Lehmann (Grüne), sagte, früher seien Sterilisierungen und Scheidungen notwendig gewesen, heute noch teure Gerichtsverfahren. Damit mache man endlich Schluss.
Janine Wissler, Vorsitzende der Linkspartei, sagte, das Gesetz sei aus menschenrechtlicher Perspektive überfällig. „Das Selbstbestimmungsgesetz schafft Erleichterungen für eine der am stärksten diskriminierten Gruppen in der Gesellschaft. Das ist überfällig.“ Doch leider lasse das noch einiges zu wünschen übrig. „Dazu gehören zum Beispiel die Einschränkungen für Menschen ohne deutschen Pass und ein notwendiges Programm zur Reduktion des übergroßen Armutsrisikos der Betroffenen.“
Das verabschiedete Gesetz sieht vor, dass nach Ablauf eines Jahres der Geschlechtseintrag wieder geändert werden kann. Auf medizinische Eingriffe zur Geschlechtsangleichung hat das Gesetz keine Auswirkung. Dafür gelten eigene Regelungen und Leitlinien. In besonderen Schutzräumen für Frauen, etwa Frauenhäusern, gilt weiter das Hausrecht. Die Verantwortlichen entscheiden selbst, wer Zutritt erhält, um ein sicherer Ort zu bleiben.
Für die Änderung des Geschlechtseintrags muss die entsprechende Erklärung beim Standesamt angemeldet werden. Nach einer dreimonatigen Wartefrist kann sie dann abgegeben werden und wird wirksam. Das neue Gesetz, das das als diskriminierend empfundene Transsexuellengesetz ablöst, tritt am 1. November in Kraft. Schon ab August sollen aber Anmeldungen für die Änderung des Geschlechtseintrags möglich sein, die dann mit Inkrafttreten bereits wirksam werden können.
Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, bezeichnete das Gesetz als „großen gesellschaftlichen Fortschritt“. Es helfe einer kleinen Minderheit, für die allermeisten Menschen ändere sich derweil nichts.
Die Evangelischen Frauen in Deutschland begrüßten den Beschluss am 15. April. Die Vorsitzende Angelika Weigt-Blätgen sagte in Hannover: "Die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes ist ein theologisch wie menschenrechtlich gebotener Schritt, der einen Paradigmenwechsel von der medizinischen Pathologisierung hin zur Selbstbestimmung von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen markiert. Man sehe in der Streichung des § 13 Abs. 5 SBGG, der die automatisierte Datenweitergabe an Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden vorsah, sowie in den vorläufigen Regelungen zur Transelternschaft wichtige Schritte, die die Rechte und den Schutz der betroffenen Personen stärken.
Der Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) zeigte sich ebenfalls zufrieden. Julia Monro erklärte: „Endlich löst die Bundesregierung ihr wichtiges queerpolitisches Koalitionsversprechen ein und ersetzt das Transsexuellengesetz (TSG) durch ein Selbstbestimmungsgesetz.“ Das TSG sei in seiner ursprünglichen Fassung in großen Teilen immer wieder als verfassungswidrig eingestuft worden. Übrig geblieben seien demütigende Sachverständigengutachten und ärztliche Atteste, um den richtigen Geschlechtseintrag zu bekommen. Diese gehörten nun endlich der Vergangenheit an." Dennoch gebe es weiteren Handlungsbedarf bei der Gleichstellung trans-, inter- und nicht-binärer Personen, so Monro: Das betreffe etwa die rechtliche Absicherung von Gesundheitsleistungen und die Entschädigung für diejenigen, die sich nach dem alten TSG-Verfahren scheiden oder sterilisieren lassen mussten.
Der Deutsche Frauenrat blieb bei seiner grundsätzlichen Kritik am Gesetz. Vorsitzende Beate von Miquel: "Der Deutsche Frauenrat hat das Selbstbestimmungsgesetz immer unterstützt und öffentlich dafür geworben. Grundsätzlich ist es ein historischer Schritt hin zu mehr Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt. Wir bleiben allerdings bei unserer Kritik, dass transfeindliche Narrative im Gesetzestext reproduziert werden, die besonders trans* Frauen unter Generalverdacht eines gewaltvollen Verhaltens stellen. Dabei sind diese Personengruppen in öffentlichen Räumen häufig selbst Gewalt ausgesetzt.
Zahlreiche weitere Fachverbände aus den unterschiedlichsten zivilgesellschaftlichen Bereichen hätten darüber hinaus deutliche Kritik an dem Gesetz geübt und konkrete Verbesserungen angemahnt. „Wir bedauern es ausdrücklich, dass die allermeisten dieser wichtigen Einwände von der Bundesregierung und auch vom Parlament ignoriert wurden.“