Frankfurt a. M. (epd). Ihr Mann fiel im Krieg in der Ukraine. Sie lebt nun alleine in Deutschland. Und sie ist schwanger. „Sie hat Angst, dass sie das finanziell nicht schafft“, sagt Adriane Baute. Gerade war die 80-jährige Sprach- und Kulturmittlerin, die fließend Russisch und Bulgarisch spricht, mit der Ukrainerin bei Pro Familia in Würzburg. Dort hat sie bei der Schwangerschaftskonfliktberatung übersetzt.
Adriane Baute ist eine von 65 ehrenamtlichen, geschulten Sprach- und Kulturmittlern, die von Yuliya Zhinova vom Paritätischen Wohlfahrtsverband an Einrichtungen im Raum Würzburg vermittelt werden. Die rüstige alte Dame wird sehr häufig für Gespräche bei Ärzten oder Gesundheitseinrichtungen angeheuert. In diesem Feld werden Dolmetscherdienste immer wichtiger, sagt Kathrin Speck, Geschäftsführerin des Paritätischen in Würzburg. „Wie soll eine Behandlung auch funktionieren, wenn sich Arzt und Patient nicht miteinander verständigen können?“
Fachleute befürworten Angebote für eine professionelle Sprachmittlung in der Gesundheitsversorgung. Sprachbarrieren verhinderten in vielen Fällen eine effiziente medizinische Versorgung, erklärten Sachverständige im Mai 2023 bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestags. Bernd Meyer, Kulturwissenschaftler an der Universität Mainz, erklärte dort, Sprachbarrieren sorgten für Reibungsverluste und benachteiligten Personen mit geringen Deutschkenntnissen. Eine gesetzliche Regelung und eine verbindliche Übernahme der Kosten für Dolmetscherdienste seien daher dringend geboten.
Für Sprachmittlung als Kassenleistung kämpft auch das Aktionsbündnis Patientensicherheit. Denn ohne Sprachmittlung erhöhe sich das Risiko von Behandlungsfehlern, sagt Joachim Maurice Mielert, Generalsekretär des Bündnisses.
Die Dolmetscherinnen und Dolmetscher gehen mit zum Hausarzt, Facharzt, Kinder- oder Zahnarzt. So begleitete Adriane Baute, die aus Bulgarien stammt, in der Schule Russisch und Deutsch lernte und sechs Jahre in Moskau studierte, eine ältere Ukrainerin zu einer ambulanten Augenoperation. Sie übersetzte bei der Anmeldung, half der Seniorin, den Anamnesebogen auszufüllen, dolmetschte während des Aufklärungsgesprächs und erklärte nach der OP auf Russisch, was der Arzt empfiehlt.
Die Zuwanderung nach Deutschland mache Sprach- und Kulturmittler erforderlich, sagt Monika Schröder von den psychiatrischen Kliniken des Landschaftsverbands (LVR) Rheinland. Beim LVR hätten es die Ärzte und Therapeuten häufig mit traumatisierten Flüchtlingen zu tun. Ohne Sprach- und Integrationsmittler, wie die Dolmetscher beim LVR genannt werden, sei eine Behandlung nur schwer möglich. Im vergangenen Jahr seien sie beim LVR rund 5.500 Mal im Einsatz gewesen. Die Sprachmittlerinnen und Sprachmittler müssten nicht nur sprachlich fit sein. Auch Kultursensibilität sei wichtig, sagt Schröder.
Der LVR investiert nach eigenen Angaben jährlich 600.000 Euro in die Sprachmittlung. Er hofft, dass Sprachmittlung, wie es der Koalitionsvertrag der Bundesregierung vorsieht, Kassenleistung wird.
Der Berliner Sprachmittlungsdienst Triaphon bietet telefonische Übersetzungsdienste in neun Sprachen an. „Wir haben 2.000 Anrufe im Monat, die Gespräche dauern durchschnittlich sieben bis acht Minuten“, berichtet Geschäftsführer Kim Thanh Vo. Triaphon kooperiert mit rund 45 medizinischen Einrichtungen. Zu Stoßzeiten sei die Triaphon-Zentrale fünffach besetzt. Deutschlandweit seien mehr als 130 Sprachmittler im Einsatz.
Ein Kunde von Triaphon ist die Psychiatrische Institutsambulanz der Klinik Alexianer St. Joseph Berlin-Weißensee. Das Krankenhaus trägt nach eigenen Angaben die Kosten für die Dolmetscherdienste selbst. Zu Buche schlage auch, dass Arzt-Patient-Gespräche mit Übersetzung etwa doppelt so lange wie eine normale Konsultation dauern.
In Stadt und Kreis Osnabrück übernimmt das Netzwerk SPuK (Sprach- und Kommunikationsmittlung) der Caritas Präsenztermine. Video- und Telefon-Übersetzungen werden landesweit angeboten. Im Gesundheitsbereich fallen monatlich knapp 70 Stunden Sprachmittlung an, berichtet SPuK-Leiterin Marika Steinke. Sie kritisiert eine „erhebliche Unterversorgung“ an Sprachmittlung im Gesundheitswesen. „Eine umfassende Anamnese ist hier wesentlich schwieriger.“
Wie die im Koalitionsvertrag erklärte Absicht, Sprachmittlung künftig auf GKV-Kosten anzubieten, praktisch umgesetzt werden soll, „wurde im Bundesgesundheitsministerium umfassend eruiert“, teilte die Pressestelle des Ministeriums dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Es werde eine „zeitnahe Umsetzung“ angestrebt.