Die Weichen für eine neue Drogenpolitik sind mit dem Gesetz zur Teillegalisierung von Cannabis nun gestellt. Seit dem 1. April gehört Cannabis nicht mehr zu den nach dem Betäubungsmittelgesetz verbotenen Substanzen. Erwachsene ab 18 Jahren können künftig bis zu 25 Gramm Cannabis zum eigenen Verbrauch bei sich haben, im Eigenanbau sind drei Pflanzen erlaubt. Von Juli an dürfen Cannabis-Clubs die Droge anbauen und an ihr Mitglieder weiterreichen. Für 18- bis 21-Jährige sollen monatlich 30 Gramm mit höchstens zehn Prozent Tetrahydrocannabinol (THC) zulässig sein. Der öffentliche Konsum wird beschränkt erlaubt. In Sichtweite von Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Sportstätten ist er nicht gestattet. In Fußgängerzonen darf ab 20 Uhr gekifft werden. Für Minderjährige bleibt Cannabis verboten. Soweit im Wesentlichen der gesetzliche Rahmen.
Als Diakonie Sachsen haben wir uns im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens intensiv mit der Frage beschäftigt, ob Cannabis künftig als Droge oder als Genussmittel einzuordnen ist. Das geschah auch unter dem Aspekt, welche gesellschaftlichen Konsequenzen und sozialen Kosten damit verbunden sind.
Es war ein komplexer interner Prozess, in dem schwerwiegende Argumente auf beiden Seiten gegeneinander abgewogen worden sind. Denn naturgemäß kam die Suchtkrankenhilfe zu einer anderen Einschätzung als die Straffälligenhilfe: Erstere will grundsätzlich die Suchtgefahr in der Gesellschaft so niedrig wie möglich halten und befürchtet bei einer Legalisierung von Cannabis zwangsläufig eine Zunahme des Konsums und damit mehr Folgestörungen. Dazu zählen das Risiko einer psychischen Abhängigkeit, die Gefahr von depressiven Störungen, Angststörungen, Psychosen sowie nachhaltige und nicht mehr aufholbare Entwicklungsrückstände bei Jugendlichen durch hirnorganische Schäden. Zudem sollte neben der ohnehin viel zu großen Zahl von Alkohol- und anderen Suchtmittelabhängigen nicht noch zusätzlich eine Population von Cannabisabhängigen erzeugt werden.
Eine andere Sicht vertrat die freie Straffälligenhilfe: Eine legale, kontrollierte Abgabe von Cannabis bewahrt viele Menschen vor einer unverhältnismäßigen Strafverfolgung und Freiheitsstrafen. Zudem entlastet es Polizei und Justiz merklich. Es ist richtig, dass Polizei und Justiz durch die bisherige Kriminalisierung viel zu tun hatten, weil fast jedes zweite verfolgte Drogendelikt ein Cannabisdelikt gewesen ist - und aufgrund von Kleinstmengen letztlich häufig eingestellt werden musste.
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes werden jetzt Ermittlungs- und Strafverfahren beendet, die nach dem neuen Recht keine Grundlage mehr haben. Es verwundert daher nicht, dass die bisherigen Ausgaben für Repressionen hierzulande neunmal höher sind als die für Hilfeangebote oder präventive Angebote. Welche Argumente wiegen schwerer?
Als evangelischer Wohlfahrtsverband sind wir mit von Sucht betroffenen Menschen solidarisch und setzen uns engagiert für Wege aus dem lebenszerstörenden Verhalten ein. Wir sehen uns auch in der Verantwortung, jeglicher Suchtentwicklung gerade bei jungen Menschen vorzubeugen. Gleichzeitig muss unsere Solidarität auch jenen Menschen gelten, die wegen eines Drogendelikts unverhältnismäßig oft in Haft gekommen sind und damit aus ihren gesamten Lebensvollzügen gestoßen wurden - mit teilweise lebenslangen Folgen.
Als einer der wenigen Wohlfahrtsverbände haben wir uns daher bereits vor einem Jahr mit einer Positionierung zur Legalisierung von Cannabis aus der Deckung gewagt - und das aus unserer Sicht gesetzgeberisch und gesellschaftlich Notwendige gefordert, wenn die Teilfreigabe von Cannabis nicht für viele - vor allem junge - Menschen zum Verhängnis werden soll.
Neben einem deutlich restriktiven Zugang zum Angebot - hier sind die jetzt vorgesehenen Vorkehrungen weder überwachbar noch ausreichend - scheinen uns flächendeckende und dauerhafte Aufklärungs-, Präventions- und Hilfeangebote, für Kinder, Jugendliche und das erwachsene Umfeld (vor allem Eltern und Lehrkräfte) am wichtigsten. Es muss klar werden, dass Cannabis nicht harmlos ist - schon gar nicht für Gehirne junger Menschen.
Diese wichtige Aufklärungsarbeit, aber auch sich daraus anschließende Hilfeangebote, müssen zu 100 Prozent finanziert werden. Ihren Auftrag, notwendige Aufklärungs- und Präventionsangebote bezüglich Drogen- und Alkoholkonsum beispielsweise an Schulen zu entsprechen, können Suchtberatungsstellen aus Gründen der Unterfinanzierung ohnehin schon seit langem nicht oder nur sehr sporadisch nachkommen.
Auch Menschen mit Lernbeeinträchtigung dürfen mit ihrem speziellen Bedarf dabei nicht vergessen werden. All das muss jetzt zwingend und umgehend im Jugendschutzgesetz verankert werden. Analog zu den Bestimmungen zur Abgabe und Konsum von Alkohol und Tabak muss dies für Cannabis geregelt werden.
Die Kontrolle des 100-Meter-Radius zu Kitas und Schulen, innerhalb dessen Abgabe, Besitz oder Handel von Cannabis weiterhin illegal und eine Ordnungswidrigkeit bleiben sollen, halten wir für kaum leistbar. Auch die mit dem Gesetz verbundene Hoffnung, die Teillegalisierung könnte den Schwarzmarkt schwächen und gleichzeitig dafür sorgen, dass Konsumenten und Konsumentinnen ein reineres und sichereres Produkt bekommen, muss sich nicht erfüllen.
Denn Menschen, die Cannabis konsumieren wollen, haben letztlich nur die Möglichkeit, entweder selbst anzubauen oder Club-Mitglied zu werden. Wer das nicht will oder nur spontan am Wochenende einen Joint rauchen will, dem bleibt nach wie vor nur der Schwarzmarkt.
Wir befürchten, dass mit der Teillegalisierung eine deutliche Mehrbelastung des Suchthilfesystems einhergehen wird. Diese kann mit den bisherigen finanziellen Mitteln keinesfalls kompensiert werden. Daher fordern wir, die Suchtkrankenhilfe insgesamt durch die Minderbelastung von Justiz und Polizei finanziell zu stärken.
Zudem halten wir eine umfassende Begleitforschung, die die Folgen der kontrollierten Abgabe akribisch erfasst, für wichtig, damit notwendige Korrekturen unverzüglich und unabhängig von folgenden Regierungskoalitionen erfolgen können. Der Ausbau von Drogen- und Gesundheitsmonitoring und eine entsprechende Versorgungs- und Therapieforschung sind dazu unerlässlich. Dabei sind die Suchtkrankenhilfe sowie die Suchtselbsthilfe zu beteiligen.