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Armut

Kindergrundsicherung: Ampel streitet nicht nur über 5.000 neue Behördenstellen




Der Streit über die geplante Kindergrundsicherung geht in die nächste Runde.
epd-bild/Detlef Heese
Die Ampel will Kinderarmut effektiver bekämpfen. Doch wie das geschehen soll, ist offen. Zur Auszahlung der geplanten Kindergrundsicherung will Familienministerin Paus 5.000 neue Behördenstellen schaffen. Die FDP hält das für völlig unrealistisch. Sozialverbände dagegen nicht.

Berlin (epd). Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbandes, Ulrich Schneider, hält es für den richtigen Ansatz, 5.000 neue Stellen bei der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu schaffen, um die geplante Kindergrundsicherung zügig auszahlen zu können. Die Behörde solle dafür sorgen, dass Bürgerinnen und Bürgern Arbeit abgenommen werde. Das sei für ihn das Gegenteil von Bürokratie, sagte Schneider am 3. April im „Deutschlandfunk“.

Das Problem mit der Behörde sei für ihn aber zweitrangig, betonte Schneider. Die Kindergrundsicherung komme bislang nicht, „weil sie Geld kostet“, sagte er und forderte, bis zur Einführung samt Verwaltungsreform die Regelsätze für Kinder im Bürgergeld zu erhöhen, um Kinderarmut zu bekämpfen.

Regelsätze im Bürgergeld seien „lausig“

Die Sätze seien derzeit „lausig“: „Mit 350 Euro bekommt man kein Kind über den Monat und mit vier Euro bekommt man kein Schulkind am Tag ernährt.“ Nach Berechnungen seines Verbands müsste man vier bis fünf Milliarden Euro auf den Weg bringen, um Kinderarmut zu bekämpfen, sagte Schneider.

Aus der FDP kam erneut Widerstand gegen die im Koalitionsvertrag vereinbarte Sozialreform, die Leistungen für Kinder bündeln und deren Beantragung deutlich vereinfachen und eigentlich auch automatisieren soll. Längst geht es dabei um Grundsätzliches.

Auf Kritik stößt bei den Liberalen vor allem, dass Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) dafür eine neue Behörde, den Familienservice, schaffen will. Die Liberalen befürchten neue Bürokratie. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte dazu gesagt: „Die Vorstellung, dass der Staat eine 'Bringschuld' bei Sozialleistungen habe, finde ich verstörend - erst recht, wenn dafür 5.000 neue Staatsbedienstete eingestellt werden müssen.“

Die FDP warf der Familienministerin vor, noch keinen verhandlungsfähigen Vorschlag vorgelegt zu haben. „Warum die Familienministerin an illusorischen Forderungen festhält, die nicht umsetzbar sind, weiß nur sie“, sagte FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer.

Bundesagentur für Arbeit nannte in Anhörung über 5.300 nötige Stellen

Die Zahl von 5.000 neuen Stellen stammt indes nicht aus dem Familienministerium, sondern von der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die hatte bei einer Anhörung im Familienausschuss des Bundestages im November vergangenen Jahres die Zahl von 5.355 neuen Vollzeitstellen errechnet, die gebraucht würden, um die Kindergrundsicherung umzusetzen - was jedoch bis 2025 unmöglich sei.

Der SPD-Sozialpolitiker Rosemann räumte am 4. April im Deutschlandfunk ein, dass es bei der Kindergrundsicherung „in der Tat“ um Bürokratieabbau gehe. Gleichwohl seien „neue Strukturen erforderlich“, zum Beispiel für Beratung. „Dafür gibt es natürlich einen gewissen personellen Aufwand“, sagte der Sprecher für Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion. Die Zahl von 5.000 Stellen sei Gegenstand von Verhandlungen, erklärte Rosemann weiter. Ob die Kindergrundsicherung wie geplant im nächsten Jahr eingeführt werde, bezweifelte der SPD-Politiker: „Ich würde mich darauf nicht festlegen.“

2028 könnten knapp sechs Milliarden Euro nötig sein

Die Kindergrundsicherung soll 2025 eingeführt werden, gilt als die größte Sozialreform der Ampel-Koalition und soll das Kindergeld, den Kinderzuschlag für einkommensarme Familie sowie die Sozialleistungen für Kinder bündeln. Das Gesetz von Familienministerin Paus wird derzeit im Bundestag beraten, war aber schon vor der Beratung im Bundeskabinett im vergangenen September innerhalb der Koalition umstritten, vor allem hinsichtlich der Finanzierung. Für 2025 sollen 2,4 Milliarden Euro mehr im Haushalt des Bundesfamilienministeriums eingestellt werden. Paus geht davon aus, dass bei einer Inanspruchnahme von 80 Prozent im Jahr 2028 die Kindergrundsicherung insgesamt knapp sechs Milliarden Euro kostet.

Die Ministerin hatte kürzlich die geplanten 5.000 neuen Behördenstellen für die Auszahlung der Leistung mit einer „Bürokratieentlastung für die Bürger“ und einer „Bringschuld des Staates“ begründet. Im Moment trügen die Bürgerinnen und Bürger bei Anträgen die Bürokratielast und müssten von einer Stelle zur nächsten rennen.

Kinderhilfswerk: Zentrales Anliegen gerät aus dem Blick

„In der Diskussion um die Kindergrundsicherung gerät das zentrale Anliegen zusehends aus dem Blick. Es geht nämlich darum, wie die Bundesregierung die skandalös hohe Kinderarmutsquote in Deutschland spürbar senken kann und was bei den Kindern und ihren Familien von den ihnen zustehenden Sozialleistungen tatsächlich ankommt“, sagte Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Es könne nicht sein, dass die von Armut betroffenen Familien und ihre Kinder im Behördendickicht auf der Strecke blieben, wie das bisher beispielsweise beim Kinderzuschlag oder beim Bildungs- und Teilhabepaket viel zu oft der Fall sei. „Deshalb braucht es mehr Beratung und Hilfestellungen, die nicht allein von den Sozialverbänden gestemmt werden können. Und bei mehr Anspruchsberechtigten, die die ihnen zustehenden Leistungen dann auch tatsächlich beantragen, braucht es natürlich auch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Behörde, die diese Anträge bearbeiten und bewilligen. Wie viele das dann sein müssen, ist keine Frage, die wir als Kinderrechtsorganisation beantworten können, sondern eine Frage an Legislative und Exekutive“, stellte Hofmann klar.

AWO vermisst „praxistaugliches Konzept“ zur Umsetzung

Ganz allgemein, ohne die Zahl der neuen Stellen zu kommentieren, heißt es bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO): „Langfristiges Ziel muss eine möglichst automatische Auszahlung sein. Dafür muss jetzt endlich ein praxistaugliches Konzept vorgelegt werden“, sagte eine Sprecherin dem epd. Bis dahin führe aber kein Weg daran vorbei, eine einheitliche Anlaufstelle für Familien zu schaffen, die vernetzt mit den anderen zuständigen Stellen weitere Leistungsansprüche für die Kinder kläre.

Das sieht auch VdK-Präsidentin Verena Bentele so: „Die Diskussion um die Personalstellen geht völlig am Thema vorbei. Wichtig ist vor allem der Inhalt der Kindergrundsicherung. So wie sie im Moment ausgestaltet ist, können wir Kinderarmut noch nicht ausreichend bekämpfen.“ Sie sehe aber durchaus die Notwendigkeit, dass die Familienkasse bei der Agentur für Arbeit personell ausgebaut werden müsse, wenn sie in Zukunft die Kindergrundsicherung bearbeite, sagte sie dem epd: „Ob 5.000 Stellen angemessen sind oder nicht, können und müssen wir als VdK nicht beurteilen.“

Dirk Baas