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Geburtenrate in Deutschland deutlich gesunken




Neugeborenes Kind
epd-bild/Detlef Heese
Frauen in Deutschland bekommen so wenige Kinder wie seit dem Jahr 2009 nicht mehr. Corona, Krieg, Inflation und Klimakrise werden als Ursachen vermutet.

Frankfurt a. M. (epd). Die Geburtenrate in Deutschland ist nach Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung auf den tiefsten Stand seit 2009 gefallen. Sie sank von 1,57 Kindern pro Frau 2021 auf rund 1,36 im Herbst 2023, wie das Institut am 20. März in Wiesbaden mitteilte. Die Autorinnen und Autoren der Studie vermuten als Grund die weltweiten Krisen; eine ähnliche Einschätzung hat das Bundesfamilienministerium. Die Union sieht die Schuld bei der Bundesregierung.

Große Verunsicherung

Der Krieg in der Ukraine, die gestiegene Inflation und auch der fortschreitende Klimawandel hätten die Menschen zusätzlich zur Corona-Pandemie verunsichert, sagte Martin Bujard vom Bundesinstitut. In einer solchen Zeit setzten viele ihren Kinderwunsch nicht um. „Wir sehen nicht nur in Deutschland, sondern in vielen europäischen Ländern sowohl eine große Verunsicherung durch die zahlreichen internationalen Krisen als auch einen Geburtenrückgang“, erklärte der Co-Autor der Studie. Die Forschenden erwarten, dass sich das Muster auch in weiteren europäischen Ländern zeigen wird.

Nachdem in Deutschland die Geburtenrate während der ersten Zeit der Corona-Pandemie ab 2020 den Angaben nach stabil geblieben war, sank sie im weiteren Verlauf der Pandemie ab Januar 2022 auf 1,4 und erholte sich im Sommer 2022 wieder auf 1,5 Kinder pro Frau. Im Jahr 2023 sei die Geburtenrate erneut weiter gefallen und habe nach vorläufigen Berechnungen im Durchschnitt der Monate Januar bis November 1,36 betragen. Das sei ungewöhnlich, weil sich Phasen sinkender Geburtenraten in der Vergangenheit eher langsamer vollzogen hätten, hieß es.

Eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums sagte der Tageszeitung „Welt“ (online): „Die Post-Corona-Zeit sowie die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen verlangen den Menschen viel ab. In unsicheren und wirtschaftlich angespannten Zeiten verschieben die Menschen ihre Familienplanung lieber.“ Umso wichtiger sei es, Familien zu unterstützen durch eine flächendeckende Kinderbetreuung und bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Kind und Karriere - schwierig zu vereinbaren

Die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Silvia Breher (CDU), sagte dem Blatt, der Absturz verdeutliche, dass das Vertrauen der Familien in die Politik verloren gegangen sei. „Die Ampel schafft es mit ihrer undurchdachten und ideologisch geprägten Gesellschaftspolitik nicht, den Familien Vertrauen zurückzugeben.“ So würden familienpolitische Maßnahmen wie die Investitionshilfen für den Ausbau von Kita-Plätzen „einfach aufgekündigt“, große Reformprojekte wie die Ganztagsbetreuung im Grundschulalter dauerten ewig, kritisierte Breher.

Die Diplom-Psychologin Lisa Hoffmann erklärte: „Wir befinden uns generell eher in einer unsicheren Situation.“ Die vergangenen Jahre seien durch Corona sehr anstrengend für Eltern gewesen und die sinkende Geburtenzahl könnte eine potenzielle Nachwirkung sein. „Auch gab und gibt es in Kitas in den letzten Jahren häufig Betreuungsengpässe. Wodurch vielleicht die Entscheidung für ein zweites Kind auch negativ beeinflusst werden könnte“, sagte die Mitarbeiterin der Universität Bonn dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), sagte der „Welt“: „Junge Frauen finden es zunehmend schwierig, Kind und Karriere miteinander zu vereinbaren. Wir sehen, dass Frauen dann eher auf Kinder verzichten wollen als auf den Beruf.“ Hinzu komme, dass das Angebot für Kinderbetreuung nicht ausreiche: „Alles in allem ist das für Frauen eine No-win-Situation. Die gesunkene Geburtenrate lässt vermuten, wo Frauen für sich die Lösung dieses Dilemmas sehen.“

Karsten Frerichs, Dirk Baas