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Tuberkulose: Die Krankheit der Armen




Liegekuren an der frischen Luft galten einst als Therapie gegen Tuberkulose. Das Tuberkulose-Museum in Heidelberg zeigt einen originalen Liegestuhl.
epd-bild/Heike Lyding
Das Bild der Tuberkulose wandelte sich im Laufe der Jahre. Das Deutsche Tuberkulose-Archiv in Heidelberg stellt die Geschichte der Krankheit vor - und zeigt auf, was die Ausbreitung der Infektion begünstigt.

Heidelberg (epd). In einem Barockschloss sind Ermahnungen, doch bitte nicht auf den Boden zu spucken, recht ungewöhnlich. Im Rohrbacher Schlösschen in Heidelberg finden sich mehrere solcher Hinweistafeln. Sie sind Zeugen einer Vergangenheit, in der so etwas nicht nur unappetitlich war, sondern eine tödliche Gefahr barg: Tuberkulose (TB).

In dem Schloss im Stadtteil Rohrbach befindet sich das Deutsche Tuberkulose-Archiv, das auch ein Museum ist. Dessen Leiterin Oswinde Bock-Hensley sagt: „Die Geschichte der Tuberkulose ist nicht vorbei.“

Menschen schauten im Lauf der Geschichte aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Tuberkulose. So verklärten die Romantiker die Krankheit als Leiden, das tiefe geistige Einsichten überhaupt erst ermögliche. Unzählige Menschen fielen ihr jedoch zum Opfer, darunter Prominente wie die Literaten Molière (1622-1673), Matthias Claudius (1740-1815) und Franz Kafka (1883-1924), der Philosoph Karl Marx (1818-1883) sowie die Schauspielerin Vivien Leigh (1913-1967).

Einer der ganz großen Killer in Europa

Zu einem der ganz großen Killer in Europa wurde die TB, als sie sich während der Industrialisierung in den engen Quartieren der verelendeten Arbeiterschaft massenhaft ausbreitete. Ihr Image wandelte sich infolgedessen zur proletarischen Krankheit. Eine preußische Statistik aus dem Jahr 1880 brachte die Hälfte aller Todesfälle in der Altersgruppe zwischen 15 und 40 Jahren mit TB in Verbindung. Die Nazis hingegen sahen sie als „asoziale“ Krankheit, ordneten sie bestimmten Rassen zu und sprachen von einer erblichen Anfälligkeit.

Heute ist klar, dass es tatsächlich Faktoren gibt, die die Anfälligkeit für TB erhöhen. Es sind aber keine ethnischen, sondern soziale. „Tuberkulose ist immer noch eine Krankheit der Armut“, erklärt Bock-Hensley.

Nur ein einstelliger Prozentsatz aller Infizierten erkrankt tatsächlich an der TB. Das liegt daran, dass das Immunsystem die Bakterien im Körper in Schach hält. Ist es aber geschwächt, gewinnen die Erreger Oberhand. Bock-Hensley zählt einige Faktoren auf: „Armut, Hunger, Drogen, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit.“ Da Menschen mit Migrationshintergrund solchen chronischen Stressoren besonders ausgesetzt sind, seien sie heute in Deutschland überproportional von TB betroffen, erläutert die Kinderärztin, die vor ihrem Ruhestand im Heidelberger Gesundheitsamt gearbeitet hat.

In Osteuropa sind Resistenzen ein großes Problem

In der Tat belegen Zahlen des Robert Koch-Instituts, dass die Inzidenz in Deutschland im Jahr 2015, als viele Flüchtlinge ankamen, leicht von 5,6 Fällen pro 100.000 Einwohnern auf 7,1 stieg. Innerhalb von zwei Jahren waren die Zahlen aber wieder gesunken. „Jeder Flüchtling wird auf Tuberkulose untersucht“, erklärt Bock-Hensley. Allerdings, sagt sie, müssten sie eigentlich jedes Jahr untersucht werden, um schlafende Erreger zu entdecken.

Aktuell hat die Zuwanderung aus der Ukraine die Fälle wieder etwas steigen lassen. In der Ukraine ist die Inzidenz rund zehnmal höher als in Deutschland. Hinzu kommt ein weiteres Problem, wie Daten des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose zeigen: In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion sind die Erreger oft resistent gegen Antibiotika, weil dort in der Vergangenheit gedankenlos mit den lebensrettenden Medikamenten umgegangen wurde.

In steigenden Zahlen durch Ukraine-Flüchtlinge sieht Bock-Hensley vorerst keinen Grund zur Panik. Der Anstieg geschehe von einem geringen Niveau aus, sagt die Expertin. Zudem seien die Tuberkulose-Erreger nicht besonders infektiös. Um sich anzustecken, müsse man sich mehrere Stunden lang zusammen mit einer Person, die an offener Lungen-TB erkrankt ist, in einem geschlossenen Raum aufhalten.

Nils Sandrisser