Erfurt, Luxemburg (epd). Zwei Vollzeitjobs führen nicht zu doppeltem Urlaub. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem am 9. März veröffentlichten Urteil entschieden. Demnach muss eine Arbeitnehmerin, die rechtswidrig fristlos gekündigt worden ist und wieder ein Ersatzarbeitsverhältnis begonnen hat, ihre Urlaubsansprüche aus der neuen Beschäftigung mit denen vom alten Arbeitgeber verrechnen lassen. Denn doppelte Urlaubsansprüche sollen in solch einem Fall nach dem Willen des Gesetzgebers vermieden werden, erklärten die Erfurter Richter ihre Entscheidung.
Die Klägerin war seit 1. Dezember 2014 als Fleischereifachverkäuferin in Niedersachsen tätig. Am 23. Dezember 2019 kündigte die Arbeitgeberin der Frau fristlos. Sie erhob Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Zum 1. Februar 2020 fand die Klägerin einen neuen Job.
Das Arbeitsgericht stellte mit Urteil vom September 2020 rechtskräftig fest, dass die fristlose Kündigung unwirksam war und das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst worden sei. Erst mit einer weiteren fristlosen Kündigung endete das Arbeitsverhältnis dann im Mai 2021.
Weil die Kündigung der alten Arbeitgeberin rechtswidrig war, stünden ihr noch Urlaubsansprüche zu, meinte die Klägerin. Sie verlangte für nicht genommene und noch offene fünf Urlaubstage im Jahr 2020 und zwei weitere Tage im Jahr 2021 insgesamt 609 Euro als Abgeltung. Das lehnte die Arbeitgeberin ab. Denn die Klägerin müsse sich den Urlaub, den ihr neuer Arbeitgeber gewährt habe, vollständig auf die alten Ansprüche anrechnen lassen.
Das BAG urteilte nun, dass für Zeiten einer Doppelbeschäftigung aus beiden Arbeitsverhältnissen grundsätzlich Urlaubsansprüche bestehen. Diese entstünden für „Zeiten der Arbeitspflicht“, so die Erfurter Richter mit Verweis auf eine ältere BAG-Entscheidung vom 30. November 2021.
Wegen der unwirksamen Kündigung der alten Arbeitgeberin habe eine Arbeitspflicht der Klägerin bestanden, die sie wegen der Entlassung aber nicht erfüllen konnte. Für die neue Ersatzbeschäftigung habe ebenfalls eine Arbeitspflicht bestanden, so dass aus beiden Arbeitsverhältnissen „ungeminderte Urlaubsansprüche“ entstehen.
Allerdings sehe das Kündigungsschutzgesetz bei einer unwirksamen Kündigung vor, dass Arbeitnehmer den Lohn, den sie bei einer neuen Beschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits erhalten haben, auf die noch offene Arbeitsentgeltzahlung des früheren Arbeitgebers anrechnen lassen müssen. Das müsse vom Rechtsgedanken her auch für Urlaubsansprüche gelten, urteilte das BAG.
Der Gesetzgeber habe doppelte Urlaubsansprüche wegen einer Doppelbeschäftigung vermeiden wollen. Doppelte Urlaubsansprüche können es nur bei zwei gleichzeitig ausgeübten Teilzeitbeschäftigungen oder einen Vollzeitjob und einem Teilzeitarbeitsverhältnis geben. Bei zwei Vollzeitjobs könne der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht aber nicht bei beiden erfüllen.
Gewinne ein Arbeitnehmer einen Kündigungsrechtsstreit und habe er bereits wieder eine neue Beschäftigung aufgenommen, dürfe er nicht mehr Urlaubsansprüche erhalten, „als er bei normaler Abwicklung des Dienstverhältnisses erhalten hätte“, heißt es in dem Urteil.
Urlaubsansprüche aus der neuen Beschäftigung müssten daher mit den Ansprüchen aus der alten Beschäftigung verrechnet werden. Dabei müssten die Urlaubsansprüche für jedes Kalenderjahr berechnet werden. Das habe das Niedersächsische Landesarbeitsgericht in Hannover verkannt, sodass der Streitfall zurückverwiesen werden musste.
Am 25. Juni 2020 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt, dass Arbeitgeber bei einer unwirksamen Kündigung den betroffenen Arbeitnehmern auch für die Zeit der Nichtbeschäftigung bis zur erneuten Aufnahme der Arbeit bezahlten Urlaub gewähren müssen.
Sei eine Kündigung unwirksam, sei der Zeitraum zwischen Entlassung und Wiederaufnahme der Beschäftigung mit einem tatsächlichen Arbeitszeitraum gleichzustellen. Denn ähnlich wie bei einer Erkrankung könne der rechtswidrig entlassene Arbeitnehmer unabhängig von seinem Willen seine Arbeitsleistung nicht erfüllen, so der EuGH.
Werde das Arbeitsverhältnis nicht mehr fortgesetzt, etwa wegen einer zweiten Kündigung, könnten Arbeitnehmer eine Vergütung für den nicht genommenen Jahresurlaub verlangen, urteilten die Luxemburger Richter in den entschiedenen bulgarischen und italienischen Fällen.
Az.: 9 AZR 230/22 (Bundesarbeitsgericht, Doppelbeschäftigung)
Az.: 9 AZR 225/21 (Bundesarbeitsgericht, Arbeitspflicht)
Az.: C-672/18 und C-37/19 (Europäischer Gerichtshof)