sozial-Branche

Behinderung

Künstler mit geistiger Behinderung malen Bilder für Kreuzweg




Ein Bild des Atelier "Wilderers" für den Kreuzweg
epd-bild/Chris Gossmann
Knapp anderthalb Jahre haben die Künstlerinnen und Künstler des Ateliers "Wilderers" acht neue Bilder für den Kreuzgang der historischen Basilika St. Godehard in Hildesheim gemalt. In der Zeit vor Ostern können Interessierte sie bewundern.

Hildesheim (epd). Simon von Cyrene ächzt unter seiner Last. Er hilft Jesus beim Tragen des Kreuzes. Trotzdem hat ihn der Künstler Patrick Premke mit einem freundlichen Gesicht gezeichnet. „Simon sieht, dass Jesus wirklich Hilfe braucht“, erläutert der Zeichner. „Er sagt: Du schleppst dich so mit diesem Kreuz ab, ich helfe dir mal beim Tragen.“

Jesus als Helden gemalt

Der 32-jährige Premke gehört zum Atelier „Wilderers“, einer Künstlergruppe von Menschen mit geistiger Behinderung in der Diakonie Himmelsthür in Hildesheim. Gemeinsam haben die 16 Künstlerinnen und Künstler acht von 14 neuen Bildern für den Kreuzweg in der katholischen Basilika St. Godehard gestaltet. Der Kreuzweg zeigt die Leidensgeschichte Jesu von seiner Verurteilung bis zur Grablegung.

Den gekreuzigten Jesus hat Premke aufrecht und mit goldenen Sprenkeln auf seiner Brust gemalt - es ist Bild Nummer zwölf des Kreuzwegs. „Jesus ist nicht so verzweifelt, weil er genau weiß, dass er nicht verloren ist“, erzählt er. „Die Sprenkel sind das Licht in seinem Herzen.“ Der unerwartet bunte Hintergrund solle die Vielfalt aller Menschen zeigen. Seit anderthalb Jahren habe die Gruppe an den Bildern gearbeitet, erzählt die Kunstpädagogin und Gruppenleiterin Almut Heimann. „Die Künstlerinnen und Künstler finden Jesus mutig.“ Künstler Bogdan Kim ergänzt: „Deshalb haben wir ihn als Helden gemalt.“

Die Idee zu dem neuen Kreuzweg hatte ein ehemaliger Kirchenvorsteher. Er sei der Meinung gewesen, dass der Kreuzweg neue Bilder brauche. Bisher werde dort nicht so viel und so häufig gebetet, und das liege aus seiner Sicht auch an den bisher uninspirierenden Bildern, sagt Heimann.

Gemeinsam mit ihr und einer Kulturwissenschaftlerin haben die „Wilderers“ nun die Szenen des Kreuzweges nachgespielt, um sich mit Jesu Leidensgeschichte zu beschäftigen. In einer Szene trauert Maria um ihren Sohn. „Ich habe in der Szene Jesus gespielt und in Bogdans Arm gelegen“, sagt Premke und macht es direkt vor. „Durch das Theaterspielen haben wir das gefühlt“, erzählt Bogdan Kim.

Aus innerer Ergriffenheit entstanden

Aus den fotografierten Theaterszenen haben die „Wilderers“ Skizzen gezeichnet, die auf große Leinwände geworfen wurden. Auf diesen entstanden dann mit Acrylfarben farbintensive Gemälde, die teilweise mit Blattgold verziert wurden. Darauf sind zum Beispiel ausgestreckte Zeigefinger zu sehen - Finger, mit denen die Menschen damals auf Jesus gezeigt und ihn verurteilt haben. Heimann erzählt: „Wir haben darüber gesprochen, was das für unser Leben bedeutet: Hast du schon mal jemanden beschuldigt oder gemobbt? Wurdest du schon mal von anderen gemobbt?“

Obwohl die Bilder keine konventionellen Darstellungen der Leidensgeschichte Jesu sind, fügen sie sich harmonisch in den Kirchenraum ein. Für den katholischen Stadtdechanten Wolfgang Voges ist es ein „Wagnis“, die farbigen Bilder in der uralten Kirche aus dem Hochmittelalter aufzuhängen. „Aber ich bin von der Art und Weise überzeugt, wie die Künstlerinnen und Künstlern an die Bilder herangegangen sind.“ Sie hätten sich den Themen Leid, Sterben, Tod wirklich gestellt. „Diese Bilder sind aus einer inneren Ergriffenheit heraus entstanden. Das ist Kunst.“

Bis 22. März gibt es jeden Freitag um 17 Uhr eine Andacht. Bis dahin können Gemeindemitglieder und alle Besucherinnen und Besucher abstimmen, ob die Bilder der „Wilderers“ langfristig in der Kirche hängen sollen. Voges interessiert, was die Menschen in der Stadt und in der Gemeinde dazu sagen. Die Entscheidung liege letztlich beim Kirchenvorstand und falle im April, sagt der Dechant.

Die Künstler seien so sehr von ihren Werken begeistert, dass eine negative Entscheidung bei ihnen auf Unverständnis stoßen würde, sagt Heimann. Falle die Entscheidung zugunsten der „Wilderers“-Bilder, werde das Atelier beauftragt, auch noch die Bilder der restlichen sechs Kreuzweg-Stationen zu malen. Patrick Premke hat noch eine Idee: „Die Auferstehung gibt es noch nicht als Bild in der Kirche. Aber das könnten wir uns vornehmen zu malen.“

Sonja Scheller