Düsseldorf (epd). Die geschwungenen Linien einer Holzplastik, die Umrisse eines Kopfes aus Stein, die Kraken-ähnliche Form einer Skulptur mit Tausenden Würfeln beklebt: Werke des englischen Bildhauers Tony Cragg verführen seit jeher dazu, sie zu ertasten, ihre Schwingung mit der Hand nachzuzeichnen. Das ist in einer neuen Ausstellung des Düsseldorfer Kunstpalastes möglich, sogar ausdrücklich erwünscht. „Please touch!“ ist von 21. Februar bis 26. Mai geöffnet. Für sehbehinderte und blinde Besucher wurde ein eigener Audioguide entwickelt. Spezielle Führungen werden angeboten.
„Mit Skulpturen, die man sehen und anfassen darf, geht man eine besonders intensive Verbindung ein“, sagt Kurator und Museums-Chef Felix Krämer. Der in Wuppertal lebende Bildhauer Tony Cragg selbst ist da schon skeptischer: „Der optische Eindruck ist natürlich der wichtigste“, sagt er, während er seinem Team beim Aufbau noch letzte Instruktionen gibt. Er hat für die Schau Werke ausgewählt, die normalerweise in seinem Atelier in Wuppertal stehen und die er nach Ende der Ausstellung wieder ausbessern kann. Nur deshalb sei dieses Projekt möglich gewesen, das sich über die sonst eherne Regel „berühren verboten“ hinwegsetze, sagt Krämer.
Wie akribisch Tony Cragg arbeitet, zeigt das für sein Werk untypische, zum Teil in der Corona-Zeit entstandene Werk „The Wave“, „Die Welle“. Hunderte Menschenfiguren scheinen in dieser Welle in einen Abgrund zu stürzen. „Dreieinhalb Jahre habe ich daran gearbeitet“, erzählt Cragg. Die Figuren seien lebenden Menschen nachgebildet. Noch steht er in Jeans und Arbeitshemd davor. Am Scheitelpunkt der Welle ragt eine Metallschlaufe aus dem Werk, das noch einmal gedreht wird, um seinen endgültigen Platz in der Ausstellung zu finden. Dann aber wird das Metall entfernt und ein Bein im Stil der übrigen Figuren wird, kaum als besonderer Teil des Werks erkennbar, den höchsten Punkt der Welle bilden.
Viele Themen, die der englische Künstler Cragg (74), sein Arbeitsleben lang immer wieder neu gestaltet hat, bringt die Ausstellung zusammen. Das Profil von Gesichtern ist oft Ausgangspunkt seiner Arbeiten. „Es ist besonders reizvoll, die Linien, die er von einem Gesicht ausgehend schafft, mit den Händen nachzuzeichnen“, sagt Krämer. Die eher technisch anmutenden Werke zeigten bei näherer Betrachtung, dass sie manchmal Formen von Alltagsgegenständen, etwa Schraubgläsern, verzerrten und neu gestalten.
Mit Flaschen, besonders Plastikflaschen etwa von Putzmitteln, beschäftigte sich Cragg schon am Anfang seiner Laufbahn und schuf aus Einzelteilen eine ironische Form des Wandgemäldes. Eine dieser Arbeiten ist in der neu gestalteten Sammlung des Kunstpalastes zu sehen, nur wenige Räume von der Sonderausstellung entfernt.
Dem Künstler kommt man in dem nachgebauten Teil seines Ateliers im letzten Raum der Ausstellung besonders nahe. Köpfe aus Gips und Pappmaschee, Plastiktüten voller Würfel, Pinsel, Spachtel, Modelle, etwa von „The Wave“ oder den vielen organisch geformten Cragg-Säulen: Das alles gibt Einblick in seinen Schaffensprozess. In diesem Raum allerdings ist Berühren nicht mehr erlaubt. Das Material soll, sobald es wieder im Atelier ist, weiterverarbeitet werden.
Kurator Krämer erwartet, dass Besucherinnen und Besucher von „Please touch!“ mit ihren sinnlichen Erfahrungen im Umgang mit den Werken künftig auch andere Skulpturen umfassender wahrnehmen werden. „Das kühle Metall, der glatte Marmor, das weichere Fiberglas oder die fein geschnittenen Gesichter, alles wird als sinnlicher Eindruck in Erinnerung bleiben und das Verständnis von Bildhauerei erweitern“, sagt Krämer. In diesem Sinne gibt es auch keinen Katalog, sondern eine Maske von Tony Cragg aus Hanf. „Biologisch abbaubar“, kommentiert Krämer.