sozial-Branche

Behinderung

Gastbeitrag

Werkstattreform: Mehr Inklusion, berufliche Bildung und bessere Bezahlung




Christian Germing
epd-bild/CBP
Vieles bei den Werkstätten für Menschen mit Behinderung erscheint nicht mehr zeitgemäß. Das gilt für die Bezahlung der Beschäftigten wie für die Durchlässigkeit zum regulären Arbeitsmarkt. In seinem Gastbeitrag für epd sozial skizziert Caritasexperte Christian Germing die Ziele und Forderungen seines Verbandes bei der Umgestaltung der Werkstätten.

Die Reform der Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) steht zurzeit im Fokus vieler Akteure, die sich mit der Teilhabe am Arbeitsleben beschäftigen. Hintergrund sind die Veröffentlichung der Entgeltstudie und der Dialogprozess beim Bundesarbeitsministerium, an dem auch der Caritasverband Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) beteiligt war. Vom Ministerium wurden vier Themenfelder identifiziert, die für die Weiterentwicklung der Werkstätten in den Blick genommen werden: Zugänge, Übergänge, Entlohnung und Teilhabe von Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderung.

Inklusiver Zugang zur beruflichen Bildung und Arbeitsmarktintegration: In einem künftigen System der Teilhabe am Arbeitsleben muss es einen Zugang zur inklusiven beruflichen Bildung und zu einem Arbeitsmarkt für alle Menschen mit Behinderung geben. Dazu bedarf es differenzierter und personenzentrierter Angebote.

Fachliche Weiterentwicklung der beruflichen Bildung: Aus der Sicht unseres Verbandes bedarf es einer fachlichen Weiterentwicklung der beruflichen Bildung für Menschen mit Behinderungen, um dieses Ziel zu erreichen. Der Abschlussbericht der Entgeltstudie des Bundesarbeitsministeriums liefert dabei empfehlenswerte Maßnahmen, die wir ausdrücklich unterstützen. Dazu gehören die Anerkennung von im Berufsbildungsbereich erworbenen Qualifikationen mit einer Verankerung im Berufsbildungsgesetz sowie die Verlängerung des Zeitraums der beruflichen Bildung.

Klarheit bei Zugängen zur WfbM, individueller Leistungsanspruch auf berufliche Bildung: In der aktuellen Diskussion über die Zugänge zu den Werkstätten deutet die geringe Übergangsquote vom Berufsbildungsbereich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zwangsläufig darauf hin, dass Menschen mit Behinderungen von der Förderschule in die Werkstatt gelenkt werden. Die Zuweisung zum Berufsbildungsbereich erfolgt durch den jeweiligen Kostenträger.

Bei einer möglichen Ausgliederung dieses Bereichs aus den Werkstätten und künftiger Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist es notwendig, die erforderliche Expertise für diesen Personenkreis sicherzustellen und sicherzugehen, dass der individuelle Leistungsanspruch auf berufliche Bildung nicht verkürzt wird. Es ist von essenzieller Bedeutung, dass berufliche Bildung auch für Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderung zugänglich bleibt.

Ausschreibung des Berufsbildungsbereichs: Kritisch bewerten wir eine mögliche Ausschreibung der zukünftigen Leistungen der Bundesagentur für Arbeit, wie sie das Arbeitsministerium beim Dialogprozess ins Spiel gebracht hat. Leistungen der beruflichen Bildung sollen weiterhin im sozialen Dreiecksverhältnis erbracht werden, um die Trägervielfalt und das Wunsch- und Wahlrecht zu gewährleisten.

Klare Ausrichtung auf berufliche Rehabilitation: Aus unserer Sicht bedarf es einer klaren Ausrichtung der Werkstätten auf berufliche Rehabilitation. Sie findet ihre Legitimation in Artikel 26 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und ist als solche erforderlich im Kontext des heutigen Arbeitsmarktes.

Effektives Übergangsmanagement: Um die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern, kommt einem effektiven Übergangsmanagements in der Werkstatt eine hohe Bedeutung zu. Betriebsintegrierte Außenarbeitsplätze und Übergangsgruppen sollten verstärkt genutzt werden. Die Beratung sowie Begleitung am Arbeitsplatz müssen ausgebaut und intensiviert werden. In Bezug auf ausgelagerte Arbeitsplätze unterstützen wir die Überführung in ein Budget für Arbeit, lehnen jedoch eine teilweise diskutierte generelle Befristung ab. Die geplante Höherversicherung in der Rente befürworten wir als CBP.

Entgeltgestaltung und Höherversicherung: Mit Blick auf das Entgelt schlagen wir ein staatlich finanziertes „Teilhabegeld“ auf Basis von 15 Wochenstunden Mindestlohn bei einer Vollzeitbeschäftigung in der Werkstatt vor, um Beschäftigten ein Einkommen oberhalb der Grundsicherung zu ermöglichen. Der bisherige Grundbetrag in Werkstätten sollte entfallen. Das „Teilhabegeld“ ersetzt das Arbeitsförderungsgeld. Weiterhin bliebe die Werkstatt verpflichtet, ein leistungsangemessenes Werkstattentgelt (Steigerungsbetrag) zu zahlen. Das rehabilitationsrechtlich begründete arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis im Sinne des § 221 SGB IX sollte unserer Meinung nach bestehen bleiben.

Forderung nach Streichung des „Mindestmaßes wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“: Schließlich fordern wir die Streichung des „Mindestmaßes wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ aus dem Gesetz, um sicherzustellen, dass Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderungen den Anspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben uneingeschränkt wahrnehmen können.

Im Ergebnis plädiert unser Verband nachdrücklich für eine umfassende Werkstattreform, die die Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen gewährleistet und die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt inklusiver gestaltet. Durch unsere konkreten Forderungen und Lösungsvorschläge zeigen wir die Stellschrauben für eine Neugestaltung des Werkstattsystems im Sinne der Inklusion und individuellen Teilhabe auf. In unseren Positionen skizzieren wir die notwendigen Schritte hin zu einer integrativen Gesellschaft, in der jeder Mensch die Möglichkeit hat, sein volles Potenzial zu entfalten, und Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben, unabhängig von ergänzenden Sozialleistungen zu werden.

Christian Germing ist Vorstand des Caritasverbandes für den Kreis Coesfeld und Vorsitzender des Fachausschusses Teilhabe am Arbeitsleben im Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie