Bremen (epd). Wenn Ayman Piers im Training boxt, dann fühlt er sich frei. „Ich liebe das, die Leute hier sind cool“, sagt der 25-Jährige, der sich noch sehr gut daran erinnert, wie es sich anfühlt, unfrei zu sein. Denn schon mit 15 Jahren saß er im Jugendknast: ein Jahr und zehn Monate hinter Gittern. Hunderte Einbrüche, Drogendeals und Diebstähle - er war ein Intensivtäter. Das Bremer Hood Training hat ihm geholfen, die Kurve zu kriegen.
Zehn Jahre nach seiner Verurteilung steht Ayman Piers mit beiden Beinen im Leben, hat Abitur und einen Job. Doch das sah zunächst ganz anders aus: Er wächst in Bremerhaven auf, in einem Umfeld von Armut und Kriminalität. Aber er will dazugehören, mit Statussymbolen wie einem teuren Handy und Markenklamotten, finanziert durch Brüche und Drogendeals. Eine Zeit lang glaubt er, dass es gut für ihn läuft. Zumindest schwimmt er im Geld, führt ein Leben wie im Rap-Video.
Dann der Absturz: Die Polizei, die ihn lange schon im Auge hat, versteckt einen Peilsender am Fluchtauto, kann ihm so mehr als 40 Tatorte nachweisen. „Der Fahrer hat komplett ausgepackt: Die Zeiten passten, das Auto war da, die Aussagen waren da“, erinnert sich Ayman Piers. „Da ist für mich der Boden weggebrochen. Ich dachte immer: Mir passiert nie was.“
Im Knast lernt er Daniel Magel kennen, den Gründer des Hood Trainings. „Hood“ ist die Abkürzung von Neighbourhood und steht für die Nachbarschaft, den Kiez, in dem Jugendliche wie Ayman Piers aufwachsen. Als Zwölfjähriger war Magel mit seinen Eltern aus Kasachstan nach Deutschland gekommen und in Bremen in einem Quartier gelandet, in dem Drogen, Gewalt und Kriminalität zum Alltag gehörten - auch für ihn. Mit Sport gelang ihm die Wende. „Das hat mir den Arsch gerettet“, sagt Magel heute.
Er und seine Clique gründeten vor mehr als zehn Jahren das Hood Training, eine Initiative, die Jugendlichen neben Box- auch ein trendiges Kraftsporttraining bietet: Calisthenics. Bei Klimmzügen, Liegestütz, Handstand, Aufschwüngen und Barrenstütz ist das eigene Körpergewicht der Gegner. Sport statt Mist bauen, das ist die Devise von Magel, der schließlich Sonderpädagogik studiert hat. „Ich habe viele dumme Sachen gemacht“, blickt er zurück. „Aber wir wollten, dass die Kids so etwas nicht machen.“
Immer kostenlos, niedrigschwellig und bewusst offen für alle, Jungs und Mädchen, lautet das Konzept. Daraus ist ein mehrfach ausgezeichnetes Vorzeigeprojekt geworden, zu dem derzeit mehr als 20 Outdoor-Sportparks mit Reckstangen und anderen Trainingsgeräten allein in Bremen gehören. Auch für Geflüchtete bietet Magel sein Training an - und im Gefängnis, für Jugendliche wie Ayman Piers.
Ergänzt werden die Parks durch Sportstudios - Gyms - und mobile Fitnessanlagen. Dazu gibt es Lifestyle-Angebote: Graffitisessions, Hip-Hop, die eigene Produktion von Musikvideos. Finanziert wird das alles über Sponsoren, Spenden und öffentliche Gelder, ein gerade gegründeter Förderverein hilft bei der Akquise. So zieht das Hood Training in Deutschland Kreise, wird als soziales Franchise-Konzept auch in München und Berlin angeboten. Frankfurt, Hamburg und Hannover sollen folgen.
Gerade in strukturell benachteiligen Quartieren sind Magel und sein Team präsent, verbinden in ihren Sportparks genauso wie in Schulen und Freizeitzentren urbane Jugend- und Sportkultur mit einem pädagogischen Konzept. Daniel Magel ist überzeugt: „Die Jungs, die da aufwachsen, wenn die nix zu tun haben, wenn die auch keinen haben, der sagt: Lass Sport machen, lass irgendwas Geiles machen, lass Mucke machen, lass checken, wer die meisten Klimmzüge schafft - also, wenn es da keinen gibt, der das macht, dann gehen die unter, dann landen die im Knast.“
Beim Training geht es immer um Respekt, um Regeln, Disziplin, Achtsamkeit, betont der heute 41-jährige Familienvater, der noch immer in seiner Hood von damals wohnt. „Wenn ich Sparring mache, wenn ich mit meinem Partner trainiere“, verdeutlicht der Pädagoge, „pass ich auf dich auf. Und ich erwarte, dass du auf mich aufpasst.“
Magel ist für viele ein Vorbild. Er macht im Training alles mit, schwitzt, schreit, geht an die Grenzen. Das überzeugt auch Ayman Piers. „Seine Pädagogik ist anders, alle fühlen diesen Schmerz beim Training, auch Daniel“, sagt er. „Das schleift irgendwo auch deinen Charakter. Du wirst ehrgeiziger, du wirst disziplinierter, das ist echt positiv.“
Mit dem Training findet Ayman Piers hinter Gittern ein Ventil für seine Energie und seine Aggressionen. Er lernt, seine emotionalen Grenzen zu erkennen und sie auch zu respektieren. Noch im Knast holt er seinen mittleren Schulabschluss nach, macht später das Fachabi, arbeitet mittlerweile im Vertrieb von Bauelementen und Photovoltaik-Anlagen. Er erzählt seine Geschichte so oft es geht, um andere zu inspirieren und auch zu warnen. Das sei hart, was er damals getan habe, sagt er: „Ich bereu' das bis heute.“