Hamburg (epd). Für Menschen mit Essstörungen, die zudem abhängig von Alkohol oder Medikamenten sind, gibt es zu wenig Hilfe. „Viele von ihnen bekommen nicht die richtige Therapie“, sagte Christiane Lieb, Geschäftsführerin der Fach- und Koordinierungsstelle Sucht.Hamburg dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Experten gehen davon aus, dass rund 22 Prozent der Betroffenen mit einer Essstörung zusätzlich eine Alkohol- oder Medikamentensucht entwickelt haben. Das Problem: Meist werde entweder die Substanzabhängigkeit oder die Essstörung behandelt. „Beratungsstellen und Kliniken müssen hier neue Wege gehen“, sagte Lieb. In Hamburg gebe es kein einziges Hilfsangebot für Erwachsene, das auf solche Doppeldiagnosen spezialisiert sei.
„Therapie- und Suchtanlaufstellen berichten immer wieder, dass sie Hilfesuchende mit einer Essstörung teilweise nicht richtig helfen können“, sagte die 47-Jährige. Klinische und sozialtherapeutische Stellen müssten Doppeldiagnosen besser im Blick haben und enger zusammenarbeiten. Lieb: „Viele Frauen würden Medikamente oder Alkohol nutzen, um ihren Appetit zu hemmen.“
Wer nur eine Sucht behandle, kratze nur an der Oberfläche des Problems und für Betroffene würden oft Jahre ohne „echte“ Hilfe vergehen. „Für diese Fälle reicht es nicht aus, mithilfe einer Psychotherapie die Essstörung zu behandeln, aber keine Suchttherapie wegen der Alkohol- oder Medikamentensucht zu machen“, sagte die Expertin.
Seit der Corona-Pandemie nehmen Essstörungen zu: So stieg die Zahl der stationär behandelten Essstörungen bei jugendlichen Mädchen im vergangenen Jahr um 52 Prozent im Vergleich zu 2019, hieß es im DAK-Kinder- und Jugendreport 2023. Jungen seien seltener betroffen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht davon aus, dass unter Mädchen und Frauen im Laufe ihres Lebens durchschnittlich etwa 2,8 Prozent an einer Binge-Eating-Störung (Heißhungeranfälle), 1,9 Prozent an Bulimie (Ess-Brechsucht) und 1,4 Prozent an Magersucht erkranken. „Seit der Pandemie haben auch in Hamburg mehr Mädchen ein problematisches Essverhalten“, sagt die Geschäftsführerin.
Doch Therapieplätze für Frauen und Mädchen mit Essstörungen sind in Hamburg knapp. Dabei gelte auch bei dieser Erkrankung: Je eher die Behandlung beginnt, desto größer ist die Aussicht, gesund zu werden. „Kliniken in Hamburg nehmen zu dünne Mädchen mit einem BMI von 15 oder 16 oft gar nicht auf, weil sie zu wenig stationäre Plätze haben.“ Nur abgemagerte Mädchen mit einem Body-Mass-Index von etwa 14 würden im Krankenhaus aufgenommen. „Da wird es auch schon langsam lebensbedrohlich“, weiß die Suchtexpertin. Auch ambulante Hilfsangebote für Betroffene gebe es zu wenig. Lieb: „Dabei ist eine ambulante Nachsorge besonders wichtig, damit es nicht zu Rückfällen kommt.“