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Bundeshaushalt

Jede vierte Freiwilligenstelle könnte wegfallen




Bundesfreiwilligendienst bei den Johannitern
Bei den Freiwilligendiensten plant die Bundesregierung massive Einsparungen. 2024 sollen die Mittel um etwa 25 Prozent gekürzt werden. Das könnte dazu führen, dass 25.000 Plätze wegfallen - mit erheblichen Folgen für Träger und Gesellschaft.

Stuttgart, Karlsruhe (epd). Die Zeichen stehen auf Sparen beim Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), dem Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ), den Bundesfreiwilligendiensten (BFD) sowie dem Internationalen Freiwilligendienst. In diesem Jahr liegen die Bundesmittel für diese Dienste noch bei 326 Millionen Euro. 2024 sollen es laut Planungen der Bundesregierung 78 Millionen Euro weniger sein. Fast ein Viertel der Förderung durch den Bund würde ausbleiben.

Aber: Noch ist nichts entschieden. Belastbare Aussagen zu zukünftig finanzierbaren Platzzahlen in den Freiwilligendiensten seien frühestens „zur Mitte des Herbstes“ möglich, teilte die Bundesregierung jüngst auf eine Anfrage der Fraktion „Die Linke“ eher vage mit. Über den Bundeshaushalt für 2024 wird der Bundestag voraussichtlich im Dezember entscheiden.

„Einrichtungen würden schwer getroffen“

Dennoch: Die Sozialverbände sind alarmiert. „Bundesweit würde damit künftig bis zu 35.000 jungen Menschen eine bewährte Chance auf Erprobung, Kompetenzerwerb und gesellschaftliches Engagement verwehrt“, heißt es beim Bundesarbeitskreis FSJ. „Auch die Einrichtungen würden schwer getroffen“, sagte der Geschäftsführer der Evangelischen Freiwilligendienste, Martin Schulze. Die Freiwilligen erledigten wichtige Hilfstätigkeiten, um die hauptamtlichen Beschäftigten zu entlasten.

Wenn es weniger Menschen in Freiwilligendiensten gäbe, könnten zum Beispiel Altenheime keine Ausflüge mehr anbieten, und in Sportvereinen werde das Angebot für junge Kinder eingeschränkt, sagt der Fachmann. Betroffen wären zudem Kitas. Zahlen des Familienministeriums zufolge sind über 10.000 Freiwillige in der Kinderbetreuung aktiv.

Zahlen der Freiwilligen gehen zurück

Jedes Jahr machen mehr als 80.000 junge Menschen einen Freiwilligendienst in Deutschland. Die Zahlen sind seit 2020 rückläufig. 2021 absolvierten noch knapp 90.000 Menschen einen freiwilligen Dienst. Das gilt auch für den BFD, der im September 2023 knapp 35.000 Teilnehmende zählte. 2017 lag deren Zahl noch bei über 40.000.

„Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass sie die Freiwilligendienste bedarfsgerecht ausbauen und stärken will. Die jetzt angekündigten Kürzungen stehen dazu in klarem Widerspruch. Wer heute kürzt, zahlt morgen drauf!“, rügt Diakonie-Sozialvorständin Maria Loheide. Die Trägergruppe der Evangelischen Freiwilligendienste ist einer der größten Anbieter. Jährlich treten rund 13.600 Freiwillige in der Evangelischen Trägergruppe ihren Freiwilligendienst im In- und Ausland an.

Allein in Baden-Württemberg engagieren sich jährlich rund 18.000 Freiwillige. Sollten die Kürzungen wie angekündigt umgesetzt werden, würde das im Südwesten den Verlust von 4.500 Plätzen bedeuten. Der Landesarbeitskreis FSJ Baden-Württemberg - ein Zusammenschluss der 38 baden-württembergischen FSJ-Träger - spricht sich vehement gegen die Streichungen im Freiwilligendienst aus.

„Dienste sind schon jetzt unterfinanziert“

Dessen Vorsitzender Dietrich Hartlieb erklärte dem epd: „Freiwilligendienste sind bereits unterfinanziert, und nicht jeder Platz wird angemessen gefördert. Die Sparmaßnahmen gefährden unsere Bemühungen, den Freiwilligendienst auszubauen und attraktiver zu gestalten.“

Hartlieb ist auch Abteilungsleiter Freiwilligendienste bei der Diakonie Baden. Diese vermittelt jährlich rund 900 Freiwillige in ihre Einsatzstellen und Einrichtungen. Sollte es zu den geplanten Kürzungen der Bundesregierung kommen, gehe er davon aus, dass die Diakonie die Zahl auf etwa 600 im Jahr 2024/2025 reduzieren müsste, sagt Hartlieb. Das stünde im Widerspruch zur Aussage der Politik, dass sich junge Menschen mehr sozial engagieren sollen, findet er.

Eine Kürzung der Freiwilligendienste würde zudem zu einer weiteren Verschärfung des Fachkräftemangels im sozialen Bereich, insbesondere in der Pflege und in Kitas, beitragen. „Die Folgen sind bereits jetzt in unseren Einsatzstellen spürbar“, sagt Hartlieb. Die helfenden Hände der Freiwilligen fehlten zum Beispiel in den Kitas beim Spielen, in den Seniorenheimen beim Vorlesen, in den Krankenhäusern bei der Essensausgabe und in den Behindertenheimen beim Ankleiden.

Caritas sieht „katastrophales Zeichen“

Als „katastrophales Zeichen“ beurteilt man die Kürzungspläne beim katholischen Caritasverband für Stuttgart. Irgendwann würden soziale Einrichtungen eher auf geringfügig Beschäftigte zurückgreifen als auf Freiwillige, sagt die Leiterin des Freiwilligenzentrums Caleidoskop, Ulrike Holch. Denn die seien verfügbar - und zudem preiswerter.

Beim Paritätischen Baden-Württemberg würden von den derzeit rund 2.800 Plätzen in den Freiwilligendiensten etwa 700 entfallen, sollten die Pläne der Bundesregierung umgesetzt werden. Unmittelbar zu spüren bekämen das die Klienten der Einrichtungen, sagt Uta-Micaela Dürig, Vorstand Sozialpolitik des Paritätischen. Das ohnehin schon belastete Fachpersonal in den Einrichtungen müsste mit weniger Unterstützung bei Tätigkeiten auskommen, die keine fachliche Qualifikation, aber Zeit erfordern - wie Spielen oder Spazierengehen.

Weitaus größer und nachhaltiger seien die Auswirkungen der Kürzungspläne auf die gesamte Gesellschaft. „Wir befürchten, dass dadurch weniger junge Menschen einen sozialen Beruf ergreifen, was den Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft massiv verstärken würde“, sagt Dürig. 70 Prozent der Freiwilligen könnten sich nach einem freiwilligen Jahr vorstellen, in der Sozialen Arbeit oder im Gesundheitswesen zu arbeiten.

Matthias Pankau, Dirk Baas


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