Berlin, Dortmund (epd). Ein Jahr nach dem Bundestagsbeschluss zur sogenannten Triage-Regelung bereitet die Ärztevereinigung Marburger Bund eine Verfassungsbeschwerde gegen die Änderung des maßgeblichen Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vor. Die Beschwerde richte sich gegen Verfahrensregelungen in Paragraf 5c IfSG für den Fall, dass in einem Krankenhaus aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend vorhandene überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten vorhanden seien, teilte der Marburger Bund am 2. November in Berlin mit. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, findet die Position der Ärztevereinigung widersprüchlich.
Laut Marburger Bund geht es dabei im Wesentlichen um die Frage, ob die in Paragraf 5c IfSG aufgestellten Anforderungen an Triage-Entscheidungen und Regelungen mit der grundrechtlich geschützten ärztlichen Therapiefreiheit kollidierten, sagte Susanne Johna, Vorsitzende des Verbandes der angestellten Ärzte. Bei solchen Entscheidungen versuchten Ärzte, das Überleben möglichst vieler intensivpflichtiger Patienten zu erreichen, erläuterte sie. Die neue gesetzliche Regelung widerspreche dem ärztlichen Ethos und dem Grundrecht der Berufsfreiheit.
Das im November 2022 in der Corona-Pandemie beschlossene Triage-Gesetz sieht vor, dass in Triage-Situationen medizinische Ressourcen etwa im Krankenhaus nur aufgrund „der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ zugeteilt werden dürfen. „Aus Diskussionen mit vielen Mitgliedern, vor allem solchen, die auf Intensivstationen und in Notaufnahmen arbeiten, wissen wir, dass die Gesetzesänderung zu Verunsicherungen auch im Hinblick auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen geführt hat“, sagte Johna.
Die Gesetzesänderung könne dazu führen, dass Menschen mit höherer Überlebenswahrscheinlichkeit sterben, weil sie keine intensivmedizinischen Ressourcen bekommen, die ein anderer Patient mit aktuell deutlich schlechteren Überlebenschancen habe, sagte Johna.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte, „dass beim Marburger Bund und seinen ärztlichen Mitgliedern in den Krankenhäusern das ärztliche Ethos und das Grundrecht der ärztlichen Berufsfreiheit in die Beliebigkeit abzugleiten scheinen“. So stehe etwa bei der Organspende die Dringlichkeit vor der Erfolgsaussicht. Damit hätten kränkere Patienten eine höhere Priorität, ein Organ zu erhalten.
Brysch erklärte, eine Überprüfung der Regelungen im Infektionsschutzgesetz durch das Bundesverfassungsgericht sei richtig und wichtig. „Es darf nicht sein, dass Ärzte in Deutschland Therapieangebote nach jeweils individuellem Ermessen wahrnehmen.“