sozial-Branche

Arbeitslosigkeit

Interview

Verband: Sozialer Arbeitsmarkt wird beschädigt




Georg Münich
epd-bild/Tim Frankenheim
Georg Münich, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit, sieht schwere Zeiten auf die Beschäftigungsförderung zukommen. Grund sind die massiven Kürzungen der Regierung im Etat der Bundesagentur für Arbeit für 2024. Was das für Folgen hat und welche Angebote für Langzeitarbeitslose auf der Kippe stehen, erläutert er im Interview mit epd sozial.

Stuttgart (epd). Die Einsparungen von 700 Milionen Euro für 2024 seien nicht zu kompensieren, sagt der Geschäftsführer der zur Caritas gehörenden Organisation, Georg Münich. Die Folge wären unabsehbar, wenn die Infrastruktur der Beschäftigungsförderung von Langzeitarbeitslosen beschädigt würde: „Hilfen, wie wir sie tausendfach bundesweit bieten, stehen jetzt zur Disposition“. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Herr Münich, nicht nur im Bereich sozialer Infrastruktur wie der Integrationsberatung und der Freiwilligendienste will die Bundesregierung 2024 sparen, sondern auch bei der Finanzausstattung der Jobcenter. Um welche Summen geht es hier und was sind die Folgen?

Georg Münich: Es ist von 700 Millionen Euro die Rede, das ist die Größenordnung, die im Gesamtetat der Bundesagentur für Arbeit im kommenden Jahr eingespart werden soll. Manche Fachleute kommen gar auf 900 Millionen Euro. Einige Jobcenter haben das bereits umgerechnet und kommen auf sieben Prozent geringere Budgets. Aber unabhängig von der exakten Höhe der Kürzungen ist klar, dass sie dramatische Folgen für langzeitarbeitslose Menschen haben werden. Menschen, die lange aus dem Job sind, kann man nicht mit einer Schnellbleiche wieder fit für den Arbeitsmarkt machen. Es braucht qualifizierte Hilfen, wie wir sie tausendfach bundesweit bieten, und die stehen jetzt zur Disposition.

epd: Haben Sie bereits Beispiele, wie die Jobcenter ihre Ausgaben einschränken werden?

Münich: Ja, vereinzelt liegen schon Zahlen vor. Grundsätzlich muss man wissen, dass der Bund zwar die Kürzungen von oben herab vorgibt, aber jedes Jobcenter letztlich für sich entscheidet, welche Gelder und damit Projekte oder Maßnahmen wegfallen. Das macht es schwer, die Folgen vor Ort zu beschreiben, denn die künftige Förderlandschaft bleibt sehr heterogen.

epd: Aber es gibt schon vereinzelte konkrete Hinweise für die Umsetzung?

Münich: Ja. Der Caritasverband für Frankfurt am Main hat mitgeteilt bekommen, wie das zuständige Jobcenter nun plant. Demnach wird der Eingliederungstitel, also die Gelder für Fördermaßnahmen, die auch wir als Caritas bekommen, von 54 auf 45 Millionen gesenkt. Doch das ist noch nicht alles. Denn das Jobcenter muss aus diesem Etat über 20 Millionen Euro entnehmen, um damit den eigenen Betrieb am Laufen zu halten, um also seine eigenen Verwaltungsausgaben zu decken. Das ist rechtlich auch möglich. Das heißt, unter dem Strich werden die Gelder für Langzeitarbeitslose, die wieder in Beschäftigung gebracht werden, wohl halbiert. Aus Wuppertal habe ich die Information, dass der Eingliederungstitel auf 32 Millionen Euro sinken wird. In diesem Jahr lag er bei 48 Millionen Euro. Das ist dramatisch, denn damit wird der integrative Arbeitsmarkt beschädigt. Wir meinen, soziale Betriebe müssen gestärkt werden, um möglichst vielen Menschen soziale Teilhabe zu ermöglichen.

epd: Welche Bereiche der Caritasarbeit müssen womöglich gar geschlossen werden?

Münich: Diese Kürzungen würden zu massiven Veränderungen in den Angeboten der Betreuung, Förderung, Qualifizierung und Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen führen, die ja oft wegen ihrer multiplen Hemmnisse über eine lange Zeit Hilfe brauchen. Das bekannteste Opfer könnten die Stromsparchecks sein, ein seit 2008 bewährtes Angebot. Diese Beratungen gibt es gemeinsam mit den Energieagenturen in mehr als 150 Städten und Landkreisen. Dabei helfen speziell geschulte ehemalige Langzeitarbeitslose anderen Bürgergeldbeziehern, wie sie Strom in ihren Haushalten einsparen können. Doch auch viele andere Initiativen, häufig mit Bedeutung für die Gesellschaft, müssten ihre Angebote einschränken: Soziale Kaufhäuser, Fahrradwerkstätten, Waldprojekte oder Angebote wie die das Label „EiNZIGWARE“, das aus gebrauchten Textilien und andere Materialien Upcycling-Produkte fertigt und verkauft. Ganz generell wären alle Werkstätten betroffen, die langzeitarbeitslose Menschen beschäftigen. * epd: Was passiert, wenn der Fall eintritt, dass so massiv gespart werden muss? Wie viele Jobs sind bedroht?*

Münich: Man muss es klar sagen, auch wenn es bitter ist: Im Zweifelsfall müssen wir dichtmachen. Da, wo Träger tatsächlich schließen müssen, muss geklärt werden, was mit den festangestellten Mitarbeitenden geschieht. Die haben Arbeitsverträge, und die sind bindend. Aber klar: Es kann auch Entlassungen geben, auch wenn wir das auf jeden Fall vermeiden wollen, wo man dann mit Sozialplänen arbeiten muss. Wie viele Personen das betrifft, kann man gegenwärtig noch nicht sagen, denn oft kann ja, vor allem bei größeren Trägern, eine Versetzung in ein anderes Arbeitsfeld möglich sein.

epd: Das ist der Blick auf die eigenen Mitarbeitenden, was aber sind die Folgen für die langzeitarbeitslosen Menschen?

Münich: Für die wird es womöglich keine neuen oder auch keine fortlaufenden Beschäftigungsperspektiven geben. Das gilt an allererster Stelle für die sogenannten Arbeitsgelegenheiten (AGH), besser bekannt als Ein-Euro-Jobs. Hier setzen die Jobcenter bereits den Rotstift an. Drei Beispiele zeigen die Dimensionen des Kahlschlags, die da auf die Leute zukommen: In Leipzig hat das Jobcenter die AGH für 2024 auf 350 für ganz Leipzig gekürzt - von 600 in diesem Jahr. Die Caritas hat dann nur noch zehn Plätze in ihrem Caritasladen, im Jahr 2022 waren es noch 20. In Krefeld werden wohl die AGH um die Hälfte gekürzt. Deutliche Reduzierungen wird es auch bei den Förderungen der Beschäftigten nach dem § 16i SGB II „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ geben. Bestehende Förderungen von Stellen, auf denen ehemalige Langzeitarbeitslose tätig sind, laufen aus, neue Plätze gibt es nicht. So hat das Jobcenter in Düsseldorf die 16i-Stellen von 200 auf 60 für 2024 reduziert. Im Landkreis Osnabrück werden keine neuen Plätze nach § 16i SGB II bewilligt.

epd: Gibt es keine alternativen Finanzierungswege, etwa über die Länder oder die Landkreise?

Münich: Nein. Das ist undenkbar, allein schon wegen der gewaltigen Summen, die hier fließen müssten. Und: Das SGB II, das die Grundlage für die Beschäftigungsförderung ist, ist eine gesetzlich geregelte Bundesleistung. Das heißt, der Bundesminister für Arbeit ist zuständig und dessen Ministerium verteilt die Gelder an die Bundesagentur für Arbeit und die dann hinab in die Jobcenter. Warum also sollten die Länder hier tätig werden? Die Rechtslage ist eindeutig. Und auch die Kommunen, die ja ohnehin kaum Geld haben, zeigen da zurecht mit den Fingern auf Berlin. Es gibt keine Wege, die ausfallenden Gelder zu kompensieren.

epd: Am 8. November wird in Berlin auf dem Platz der Republik eine Kundgebung unter Beteiligung aller großen Sozialverbände stattfinden, um gegen die Einsparungen im Sozialen zu demonstrieren. Verbinden Sie damit noch Hoffnungen, über den Bundestag die Kürzungen zumindest zu reduzieren?

Münich: Das ist eine schwierige Frage. Wenn ich sagen würde, das Ding ist durch, dann müsste ich ja meine Arbeit auf der Stelle einstellen. Wir haben sehr wohl noch die Hoffnung, dass es eine Reaktion in unserem Sinne im Bundestag gibt. Wir machen auf allen medialen Kanälen klar, dass diese Pläne die soziale Infrastruktur auf Dauer beschädigen. Wir müssen Gehör und auch Verständnis finden. Auch deshalb suchen wir ja den Kontakt zu den Medien, um die Folgen dieser Rotstiftpolitik darzustellen.