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Armut

Eine "Vesperkirche" für das ganze Jahr




Feier von zehn Jahren "Café Hope"
epd-Bild, Peter Dietrich
Der Südwesten ist eine bundesweite Hochburg der Vesperkirchen. Im vergangenen Winter gab es in Baden-Württemberg 38 solche Angebote. In Kirchheim unter Teck gibt es mit dem "Café Hope" sogar eine ganzjährige "Vesperkirche" - die aber nicht so heißt.

Kirchheim unter Teck (epd). Tagesleiterin Martina Rieker hat nachgezählt: 46 verschiedene Fleischgerichte und 47 verschiedene vegetarische Gerichte hat das „Café Hope“ innerhalb eines Jahres angeboten, vom Schweinebraten bis zur Spinatlasagne. Gekocht wird frisch und regional, aber ohne Geschmacksverstärker. Drei hauptamtliche Frauen sind in Teilzeit für das Café Hope im Einsatz. Sie haben ein 45-köpfiges Team an Ehrenamtlichen um sich versammelt, das aktuell aus sieben Nationen stammt.

Das Café Hope ist ein Arbeitszweig der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde in Kirchheim unter Teck, seit zehn Jahren ist es als eigener Verein organisiert. Weil der Verein von Sponsoren und Spendern unterstützt wird, kann er ein vollwertiges Essen für 7,50 Euro anbieten - ermäßigt 6 Euro. Es gibt auch Spender, die gezielt Bedürftigen ein kostenloses Essen schenken. Die Kirchengemeinde stellt dem Verein kostenlos ihr Gemeindezentrum zur Verfügung, inklusive Energie und Wasser.

Nur in den Schulferien ruht der Betrieb

Das in der 42.000 Einwohner-Stadt am Fuße der Schwäbischen Alb einmalige Angebot gibt es jeden Dienstag bis Donnerstag. Und zwar das ganze Jahr über, außer in den Schulferien. Das ist der größte Unterschied zu den klassischen Vesperkirchen, die auf einige Wochen im Jahr beschränkt sind. Doch ansonsten gibt es viele Parallelen, auch wenn das Café Hope nicht „Vesperkirche“ heißt. Im Café Hope sitzen Gäste miteinander am Tisch, die das sonst nicht tun würden, etwa der Berufsschüler neben dem 80-Jährigen aus der Nachbarschaft. Für viele Besucher und Mitarbeiter ist das Café Hope eine Art zweiter Heimat und Ersatzfamilie geworden. Manche Mitarbeiter leisten dort ihre Sozialstunden ab.

Die erste Vesperkirche im Südwesten startete 1995 in der Stuttgarter Leonhardskirche, daraus sind in der vergangenen Wintersaison 38 Angebote geworden. Die Kirchheimer Wurzeln reichen bis ins Jahr 2004 zurück. Damals bezog die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde ihr neu gebautes „Steingau-Zentrum“. Dem Hausmeister war nicht nur wichtig, dass die Stühle gerade stehen, ihm ging es um das Wohl der Menschen. Auch der Menschen, die nebenan im Jobcenter anstanden. So begann dort am Donnerstag ein Kaffeeausschank, im Gemeindehaus gab es Kuchen.

Kochen für die Berufsschüler

Die Kirchengemeinde nahm sich auch der Berufsschüler an, die auf dem Weg ins Stadtzentrum das Gelände durchquerten. Dass sie keine Sandwiches wollten, war schnell klar, das Team musste sie oft selbst essen. Also wurde ebenfalls am Donnerstag richtig gekocht, aus 15 Essen wurden schnell 60. Für einen weiteren Ausbau brauchte es eine neue Struktur, also wurde vor zehn Jahren der Verein Café Hope gegründet. „Wir wollen der Hoffnung ein Gesicht geben“, sagt Ruth Reiter, die zweite Vorsitzende. Den ersten Vorsitz hat Pfarrer Günter Öhrlich übernommen.

Im Café Hope, so der Werbeslogan, treffen „Vielfalt, Herzblut, Gastfreundschaft und ein Halleluja aufeinander“. Das Herzblut ist im ganzen Team zu spüren, in dem jeder das beiträgt, was er kann. Ein junger Geflüchteter ist dort ebenso willkommen wie ein Einheimischer mit psychischen Problemen. Im Café Hope mit schlechter Laune zu essen, sagen alle, das sei unmöglich.

„Schätzen und beten“

Die spannende Frage für die hochgelobte Köchin Gabriele Heß ist an jedem Tag: Wie viele Gäste werden wohl heute kommen? Der bisherige Rekord lag bei 168. Alle sollen satt werden, es soll aber möglichst kein Essen weggeworfen werden. „Schätzen, Beten und viel Erfahrung“ beschreibt die Köchin ihre Strategie: „Ich weiß auch, was man schnell nachmachen kann.“

Beim Quiz zum zehnjährigen Bestehen des Vereins gab es drei Preise zu gewinnen: Zwei Freiessen, ein Freiessen und einmal Spülen. Das Spülen war zwar der dritte Preis, aber womöglich der versteckte Hauptgewinn: Wer wäre nicht gerne einmal Teil eines erfolgreichen, internationalen Teams, das eine - laut Stadtverwaltung - „einzigartige und wertvolle Einrichtung in der Stadt“ betreibt, „in der die Begriffe Nächstenliebe, Zusammenhalt und Begegnung mit Leben gefüllt“ werden.

Peter Dietrich