sozial-Branche

Wohnungslosigkeit

Gastbeitrag

Wohnungsverlust verhindern, Zugang zu Wohnraum sichern




Rolf Jordan
epd-bild/Kathrin Harms
Erstmals gibt es bundesweite Daten über das Ausmaß an Wohnungslosigkeit. Damit ist die Ausganglage für Hilfen klar. Aber was muss die Politik nun tun, wenn sie, wie angekündigt, bis 2030 die Wohnungslosigkeit in Deutschland überwinden will? Rolf Jordan vom Deutschen Verein gibt in seinem Gastbeitrag die Antworten.

Anfang August dieses Jahres hat das Statistische Bundesamt die aktuelle Statistik zur Zahl der in Deutschland untergebrachten Personen ohne Wohnung veröffentlicht. Die Daten wurde erstmalig im vergangenen Jahr erhoben. Zum Stichtag 31. Januar 2023 waren demnach bundesweit gut 372.000 Personen wegen Wohnungslosigkeit untergebracht. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber 2022, als zum Stichtag 178.000 wohnungslose Personen untergebracht waren. Wir als Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge sehen die Beendigung von Wohnungslosigkeit als zentrale sozialpolitische Aufgabe, der sich die Bundesregierung stellen muss.

Das im Frühjahr 2020 verabschiedete Wohnungslosenberichterstattungsgesetz (WoBerichtsG) stellt einen wichtigen Schritt dar, um die Wohnungsnotfallthematik auch auf Bundesebene stärker zu verankern. Verantwortet vom Statistischen Bundesamt, sollen jährlich Daten zu Personen erhoben werden, „denen aufgrund von Maßnahmen der Gemeinden und Gemeindeverbände oder mit Kostenerstattung durch andere Träger von Sozialleistungen zum Stichtag wegen Wohnungslosigkeit Räume zu Wohnzwecken überlassen oder Übernachtungsgelegenheiten zur Verfügung gestellt worden sind“ (§ 3 WoBerichtsG). Die damit jeweils zum Stichtag 31. Januar erhobenen Daten zur Zahl untergebrachter wohnungsloser Personen haben und werden zu einer deutlichen Verbesserung der Datenlage beitragen.

Ergänzende Begleitforschung sichert weitere Daten

Weil mit den untergebrachten wohnungslosen Personen nur ein Teil der von Wohnungslosigkeit betroffenen Personen und Haushalte erfasst wird, sieht das Gesetz eine ergänzende Begleitforschung und Berichterstattung vor, in deren Rahmen alle zwei Jahre zusätzlich jene Wohnungslosen erfasst werden, die entweder „temporär in regulärem Wohnraum wohnen, ohne damit einen Hauptwohnsitz zu begründen“, oder die „ohne jede Unterkunft obdachlos sind“ (§ 8 WoBerichtsG).

Mit dem Gesetz wird nun zum ersten Mal eine gesetzliche Verpflichtung zur dauerhaften Erfassung und Analyse wohnungsloser Menschen in Deutschland formuliert. Das ist zu begrüßen, auch wenn die Konzentration der Statistik auf die Teilgruppe der untergebrachten wohnungslosen Personen immer auch das Risiko einer Untererfassung birgt.

Kritisch anmerken möchte ich auch, dass die Wohnungslosenberichterstattung nur ein erster Schritt hin zu einer erst noch zu entwickelnden Wohnungsnotfall-Berichterstattung ist. Perspektivisch muss es das Ziel sein, auch Daten über bedrohte Wohnverhältnisse zu erheben, um den Bedarf an Hilfen zur Prävention von Wohnungsverlusten einschätzen zu können.

Wohnungslosigkeit bis 2030 überwinden?

Flankiert durch eine fachliche Begleitung durch Expertinnen und Experten aus der Wohnungslosenhilfe, der Länder und Kommunen sowie der Verbände und Betroffeneninitiativen, liefert die Wohnungslo-senberichterstattung aber bereits jetzt wichtige Informationen für nachhaltige Planungen und Entscheidungen im Rahmen einer nationalen Strategie gegen Wohnungslosigkeit. Mit der Ziel, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden und hierfür einen Nationalen Aktionsplan zu formulieren, hat die Bundesregierung die Beseitigung von Wohnungslosigkeit als wichtige sozialpolitische Aufgabe identifiziert. Im Rahmen eines breiten Beteiligungsprozesses diskutiert eine Vielzahl an Akteuren aktuell, wie diese Zielsetzung umzusetzen ist und welcher konkreten Maßnahmen es bedarf, um tatsächlich bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit in Deutschland zu überwinden.

Das Erschließen und Bereitstellen von bezahlbarem Wohnraum markiert dabei eines der zentralen Elemente einer Politik gegen Obdach- und Wohnlosigkeit. Das gilt sowohl in quantitativer wie auch qualitativer Hinsicht. Die Nachfrage nach erschwinglichem Wohnraum übersteigt das Angebot entsprechender Wohnungen vor allem in den Ballungsräumen zumeist deutlich. Besonders problematisch ist dabei, dass seit Jahren immer mehr Wohnraum aus der Sozialbindung fällt, während der Neubau in diesem Segment weit hinter den Bedarfen zurückbleibt.

Zugangsprobleme zu Wohnraum oft nicht gelöst

Gelöst werden müssen darüber hinaus die spezifischen Zugangsprobleme wohnungsloser Menschen auf den Wohnungsmärkten. Eine rein quantitative Ausweitung des Wohnungsangebots allein löst die Zugangsschwierigkeiten dieser Menschen mit ihren zum Teil komplexen Problemlagen nicht. Die Verfügbarkeit adäquaten Individualwohnraums ist für die Zielgruppe nicht nur eine Mengenfrage, sondern vielmehr eine Frage der Verteilung und eben des des Zugangs zu diesem Wohnraum.

Daneben sind aber auch eine Reihe weiterer Maßnahmen nötig, um die bereits hohe Zahl obdach- und wohnungsloser Menschen wieder mit eigenem, mietvertraglich abgesichertem Wohnraum zu versorgen und so ein weiteres Ansteigen der Wohnungslosenzahlen zu verhindern. Hierzu zählen verstärkte Anstrengungen bei der Prävention von Wohnungsverlusten, zum anderen aber auch die Entwicklung bedarfsgerechter Hilfen, um wohnungslose Menschen dabei zu beraten, wie sie wieder eine Bleibe finden können.

Im Bereich der Prävention stellt neben der Beratung und persönlichen Unterstützung bei bedrohten Mietvertragsverhältnissen die Übernahme von Mietschulden durch einen Sozialleistungsträger das zentrale Instrument gegen den Wohnungsverlust dar. Hier sollte vor allem die Umsetzung des Fachstellenkonzepts vorangetrieben werden, um die vor Ort zumeist unterschiedlichen Kompetenzen zur Vermeidung von Wohnungsverlusten besser zu bündeln.

Housing-First als neuen Hilfeansatz beobachten und begleiten

Die vom Deutschen Verein im Herbst 2022 verabschiedeten Empfehlungen zum Housing First-Ansatz in den Wohnungsnotfallhilfen greifen ein Thema auf, dass eine zunehmend wichtigere Rolle als neuer Hilfeansatz spielt. Aktuell gilt es, die weiteren Entwicklungen auf kommunaler und Landesebene, aber auch auf Bundesebene zu beobachten und kritisch zu begleiten. Hierzu haben wir 2023 eine Reihe von Maßnahmen zur „Umsetzungsbegleitung Housing First“ initiiert, die auch 2024 fortgeführt werden sollen.

Die Intention ordnungsrechtlicher Unterbringung ist es, kurzfristig eine akute Notlage zu beheben. Die Ergebnisse der Wohnungslosenberichterstattung des Bundes zeigen aber, dass wohnungslose Menschen meist sehr lange in diesem Unterbringungssystem bleiben und schwer Zugang zu Mietwohnungen finden. Daher gilt es, die Durchlässigkeit des ordnungsrechtlichen Unterbringungssektors hin zum System sozialer Hilfen und hier vor allem den Zugang zu weiterführenden persönlichen Hilfen nach den §§ 67 ff. SGB XII weiter zu stärken, um Wohnungslosigkeit zu beheben und ihr Wiederauftreten nachhaltig zu vermeiden.

Dr. Rolf Jordan ist wissenschaftlicher Referent des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge


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