Karlsruhe (epd). Patienten mit einer unheilbaren Erkrankung können allein wegen der Empfehlung ihres behandelnden Arztes nicht die Kostenerstattung für eine experimentelle Therapie verlangen. Vielmehr komme es darauf an, ob ein „Mindestmaß an wissenschaftlicher Datenlage zu den Erfolgsaussichten des Therapieansatzes“ vorliegt, entschied das Bundesverfassungsgericht am 25. September laut einer am 4. Oktober veröffentlichten Mitteilung.
Nur wenn eine auf hinreichende Indizien „nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht“, könne die gesetzliche Krankenkasse für die Kosten aufkommen, erklärten die Karlsruher Richter.
Im konkreten Fall ging es um einen dreijährigen Jungen, bei dem eine sogenannte GM2-Gangliosidose/Morbus Tay-Sachs-Erkrankung festgestellt wurde. Dabei handelt es sich um eine seltene angeborene Stoffwechselerkrankung, die zu einem fortschreitenden Untergang von Nervenzellen führt. Schwerste Behinderungen und eine dramatisch verkürzte Lebenserwartung sind die Folge. Eine anerkannte Therapie gibt es nicht.
Im Frühjahr 2022 erhielt das Kind auf Krankenkassenkosten ein Arzneimittel, welches bei Gleichgewichtsstörungen zugelassen ist. Als die behandelnde Kinderärztin als experimentelle Therapie dem Jungen die Arznei Miglustat empfahl, welches bei anderen Erkrankungen den Untergang von Nervenzellen bremst, lehnte die Krankenkasse die Erstattung der monatlichen Kosten von mehr als 5.000 Euro ab. Es gebe keine ausreichenden Hinweise, dass die Arznei wirken könne. Das Landessozialgericht (LSG) Celle bestätigte diese Entscheidung.
Eine Verfassungsbeschwerde dagegen hatte nun keinen Erfolg. Der Beschwerdeführer habe eine Grundrechtsverletzung nicht ausreichend begründet, erklärte das Bundesverfassungsgericht. Zwar könne bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen die Krankenkasse die Kosten für experimentelle Therapien übernehmen. Hierfür müsse aber ein „Mindestmaß an wissenschaftlicher Datenlage zu den Erfolgsaussichten des Therapieansatzes“ vorliegen.
Es sei nicht zu beanstanden, dass das LSG die Einschätzung der behandelnden Ärztin als unzureichend angesehen hat. „Hinreichende Indizien“ in Form einer ausreichenden Datenlage, dass die gewünschte Arznei wirksam sei, gebe es nicht. Zwar habe der Junge im Eilverfahren das Arzneimittel zeitweise verschrieben bekommen. Ob die festgestellte Stabilisierung des Gesundheitszustandes auf die experimentelle Therapie oder auf das zuvor eingenommene Medikament gegen Gleichgewichtsstörungen zurückzuführen sei, sei nicht belegt worden.
Az.: 1 BvR 1790/23