sozial-Branche

Einsamkeit

Initiativen gegen das Alleinsein



40 Prozent der Menschen fühlen sich einsam und wissen nicht, was sie dagegen tun sollen. Die Selbsthilfe-Kontaktstellen in Bayern machen ein Angebot. Auch die Caritas will Brücken aus der sozialen Isolation bauen.

München, Weiden (epd). Neu in der Stadt und wenig soziale Kontakte? Interesse an Gesprächen, die über Smalltalk hinausgehen? Lust, neue Leute kennenzulernen? Die bayerischen Selbsthilfekontaktstellen (Seko) werben für einen „Walk and Talk“-Treff ab der dritten Septemberwoche. Dabei soll „etwa eineinhalb Stunden spazieren gegangen und sich in einer ungezwungenen Atmosphäre ausgetauscht werden“, sagt Brigitte Lindner von der Seko Nordoberpfalz. Bereits Anfang September hat die Caritas München eine Kampagne gegen Einsamkeit gestartet.

Teilhabe am sozialen Leben

In München lebt in jedem zweiten Haushalt ein Single, in jedem fünften ein Single über 60 Jahre. Diese Zahlen der Statistikbehörden zeigten „dramatisch, wie sich Lebenswelten verändern, vor allem im Alter“, sagt die Münchner Caritas-Vorständin Gabriele Stark-Angermeier. Die Gründe für das Alleinsein seien vielfältig: Kräfte und Mobilität ließen nach, die Kinder seien aus dem Haus, „manche haben bereits einen nahen Menschen verloren“. In der Folge sei für viele die Teilhabe am sozialen Leben schwer, sagt die Vorständin.

In München haben die Alten- und Servicezentren der Caritas deshalb zusammen mit den Fachstellen für pflegende Angehörige und den Beratungsstellen für ältere Menschen eine Kampagne gegen Einsamkeit im Alter ins Leben gerufen. Bis Ende des Jahres wollen sie mehr als 60 Veranstaltungen auf die Beine stellen. Ob offener Café-Treff oder Plauderstunde, Gesprächskreise für pflegende Angehörige, Bunte Runde, Frauenfrühstück, Wunschkonzert, Tanzcafé oder die Ü60-Disco-Party: Für jeden Geschmack sei etwas dabei, sagt Initiatorin und Sozialberaterin Sabine Müller.

Eine Brücke aus der sozialen Isolation hat auch die Selbsthilfekontaktstelle (Seko) der Diakonie in Weiden geschlagen. Seit Frühjahr gibt es dort einen „Walk-and-Talk“-Treff. Die anderen Sekos in Bayern fanden die Idee so gut, dass sich nun 17 der 38 Sekos in Bayern beteiligen.

„Ein verborgenes Leiden“

Bei den Treffen sollen sich die Teilnehmer gezielt über bestimmte Themen unterhalten, sagt Brigitte Linder. Ein Kartenset mit Fragen soll den Zugang erleichtern. „Was erwarte ich von der Gruppe, was kann ich einbringen, welche Aufgaben gibt es, kann ich etwas ändern?“, erläutert sie. Offen sei der Treff für jeden und jede, jung oder alt. Die ersten vier Termine würden von den örtlichen Selbsthilfekontaktstellen begleitet. Danach gehe es selbst organisiert weiter.

Einsamkeit sei leider „ein verborgenes Leiden“ und werde zu wenig thematisiert, betont sie. Menschen geben nicht gerne zu, dass sie einsam sind, Einsamkeit gelte als Stigma. Indem Menschen zusammentreffen und über ihre Probleme oder auch über ihr Handicap sprechen, stärkten sie sich gegenseitig. „Besser gemeinsam gehen statt allein.“

Wie eine Frau, Mitte 30, mit ihrer Einsamkeit umgegangen ist, zeigt ein Beispiel aus Frankfurt am Main, über das die Fachzeitschrift „Psychotherapie im Dialog“ berichtet: Sie gründete eine Selbsthilfegruppe mit dem Titel „In Betweens - Lonesome 30+“. Ihr Anliegen beschrieb sie so: „Du bist zwischen 30 und 40, unter Gleichaltrigen fühlst du dich aber häufig wie ein Alien? Hast du bisher deine Gruppe noch nicht gefunden, bist es aber leid, allein ins Kino zu gehen? Dann geht es dir wie mir. Und sicher sind da noch viele andere versteckte Einsame.“ Sie traf einen Nerv: Innerhalb von vier Monaten meldeten sich zwei Dutzend Interessierte.

Gabriele Ingenthron