sozial-Recht

Sozialgericht

Kassen müssen mobiles Vorlesegerät für Blinde finanzieren



Berlin (epd). Sehbehinderte Menschen haben Anspruch auf „Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums“ und damit auch Anspruch auf Aufnahme von Informationen. Ist dazu ein mobiles elektronisches Vorlesegerät im Alltag besonders geeignet, muss die Krankenkasse die Kosten übernehmen, entschied das Sozialgericht Berlin ein einem am 17. Juli veröffentlichten Urteil. Es sprach damit einer nahezu blinden Frau das mobile Vorlesesystem OrCam MyEye 2.0 als Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich zu.

Ursprünglich hatte die Klägerin wegen ihrer Sehbehinderung eine elektronisch vergrößernde Lupe benutzt, um Texte und Bilder erkennen zu können. Als ihre Sehkraft weiter nachließ, beantragte sie bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für das Hilfsmittel OrCam MyEye 2.0 in Höhe von 4.815 Euro.

Dabei handelt es sich um ein mobiles elektronisches Vorlesegerät, das an einer Brille befestigt werden kann. Das System enthält eine Minikamera und einen Minicomputer und kann in Echtzeit Texte erkennen und vorlesen. Auch eine Gesichtserkennung ist möglich. Gesteuert wird das Hilfsmittel durch Gesten, Sprachbefehle oder Berührung einer Touchbar.

Krankenkasse lehnte eine Kostenübernahme ab

Das Sozialgericht urteilte, dass die Frau zum mittelbaren Behinderungsausgleich Anspruch auf Kostenübernahme hat. Denn das Gerät unterstütze sie in ihren allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Dazu gehöre auch das „Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums“, was auch die Aufnahme von Informationen umfasse.

Zwar hätten behinderte Menschen im Einzelfall nur Anspruch auf eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung und nicht auf eine Optimalversorgung. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention habe sich Deutschland aber verpflichtet, einen erleichterten Zugang zu hochwertigen Mobilitätshilfen, Geräten und unterstützenden Technologien sicherzustellen, so das Gericht.

Das Vorlesegerät biete auch erhebliche Gebrauchsvorteile, was die Leistungspflicht der Krankenkasse begründe. So könnten damit Texte erkannt und vorgelesen werden. Das Einkaufen oder die Orientierung auf der Straße, etwa beim Vorlesen von Straßennamen, würde deutlich erleichtert.

Az.: S 210 KR 1573/21