sozial-Recht

Bundessozialgericht

Notfallbehandlung nicht versicherter Patienten auf Sozialhilfekosten




Ärztliche Behandlung eines Obdachlosen in einem Fahrzeug der Caritas
epd-bild/Jens Schulze
Krankenhäuser müssen einen mittellosen Ausländer ohne Krankenversicherung bei einem akuten Notfall behandeln. Die Klinik kann sich die Behandlungskosten laut Bundessozialgericht als Überbrückungsleistung vom Sozialhilfeträger erstatten lassen.

Kassel (epd). Krankenhäuser müssen nicht versicherten Ausländern im medizinischen Notfall helfen und können einen Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten durch den Sozialhilfeträger haben. Wird ein mittelloser, nicht krankenversicherter EU-Bürger an einem Wochenende und damit außerhalb der Dienstzeiten des Sozialhilfeträgers eingeliefert, sind die Behandlungskosten des akuten Notfalls als sogenannte Überbrückungsleistungen zu übernehmen, urteilte am 13. Juli das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Auf die Ausreisebereitschaft des Ausländers komme es hierfür nicht an.

Wohnsitzloser aus Polen mit Verdacht auf Herzinfarkt

Im konkreten Fall ging es um einen wohnsitzlosen Mann aus Polen. Krankenversichert war er nicht. Sozialhilfeleistungen hatte der mittellose und unter Betreuung stehende Mann nicht beantragt. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit Betteln.

Am Freitagnachmittag des 8. März 2019 wurde er wegen des Verdachts eines Herzinfarkts mit dem Rettungswagen in das Uniklinikum Aachen gebracht. Der Verdacht bestätigte sich nicht, sodass der Mann einen Tag später die Notaufnahme wieder verließ.

Die angefallenen Behandlungskosten in Höhe von 166,47 Euro wollte sich das Uniklinikum für die „Nothilfe“ von der Stadt als Sozialhilfeträger wieder zurückholen.

Nach dem Gesetz darf ein Krankenhaus Patienten in akuten Notfällen nicht abweisen. Eine Behandlungspflicht besteht dann auch für Menschen, die nicht krankenversichert sind. Damit Kliniken bei Patienten ohne Krankenversicherung nicht auf den Kosten der Notfallbehandlung sitzen bleiben, müssen sie grundsätzlich das Okay vom Sozialhilfeträger zur Kostenübernahme einholen.

Akute Erkrankung

Die Stadt Aachen lehnte das ab. Denn es habe keine vom Gesetz geforderte Behandlung einer „akuten Erkrankung“ vorgelegen. Es sei nur eine Diagnostik gemacht worden. Der Herzinfarkt habe sich nicht bestätigt. Der Patient habe auch über kein Aufenthaltsrecht verfügt, sodass allenfalls Überbrückungsleistungen für die Erstattung der Behandlungskosten in Betracht kämen. Hierfür müsse sich der Ausländer aber bereit erklären, innerhalb eines Monats auszureisen, was der Mann nicht getan habe. Die Folge sei, dass das Uniklinikum bei der Kostenübernahme leer ausgehe.

Doch das BSG sprach dem Klinikum die Kostenerstattung für die Notfallbehandlung zu. Verfügen Ausländer über kein gewährtes Aufenthaltsrecht, sei der Anspruch auf Sozialhilfe eingeschränkt. Ein Anspruch bestehe aber auf Überbrückungsleistungen, die auch die Behandlung „akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ umfassen. Der Herzinfarktverdacht sei als „akute Erkrankung“ anzusehen, der sofort abgeklärt werden musste.

Zwar sei der Gesetzgeber typisierend davon ausgegangen, dass Ausländer mit einem Anspruch auf Überbrückungsleistungen innerhalb eines Monats ausreisen. Kommen sie dem, wie im Streitfall, nicht nach, liege bei einer danach vorgenommenen akuten Notfallbehandlung jedoch ein Härtefall vor, für den der Sozialhilfeträger aufkommen müsse. Auf die Ausreisebereitschaft komme es dann nicht an. Da der Mann nach Dienstschluss des Sozialhilfeträgers in das Klinikum eingeliefert wurde, konnte in dem Eilfall auch nicht abgewartet werden, bis die Behörde über die Kostenübernahme entscheidet.

Dünnes Eis

Trotz dieses Urteils bewegen sich Krankenhäuser bei der Frage der Kostenübernahme von Behandlungen nicht versicherter Patienten auf dünnem Eis. So hatte das BSG am 6. Oktober 2022 der Duisburger Helios-Klinik die Kostenübernahme für die Notfallbehandlung einer Bulgarin versagt.

Die Frau war wegen eines massiven Bluthochdrucks an einem frühen Montagmorgen stationär aufgenommen worden. Per Fax wurde die Stadt über die Aufnahme informiert und um Übernahme der Behandlungskosten gebeten. Die Klinik hatte sich mögliche Sozialhilfeansprüche von der Frau abtreten lassen. Nach der Behandlung verschwand sie, an der angegebenen Adresse war sie nicht gemeldet.

Das BSG urteilte, dass kein Erstattungsanspruch besteht. Es sei gar nicht klar, ob die Frau mittellos war. Da die Klinik an einem Montag den dienstbereiten Sozialhilfeträger informiert hatte, könne nur die Patientin mögliche Sozialhilfeansprüche als „Hilfe bei Krankheit“ gegenüber der Stadt geltend machen. Eine Abtretung der Ansprüche auf den Krankenhausträger - wie hier geschehen - sei gesetzlich nicht erlaubt.

Tagesbezogener Anteil

Am 23. August 2013 urteilten die obersten Sozialrichter, dass Krankenhäuser als Nothelfer sich meist auch nicht die volle Krankenhausbehandlung erstatten lassen können. Werde für die Behandlung eines Patienten eine Fallpauschale abgerechnet, könne das Krankenhaus nur den tagesbezogenen Anteil erhalten, in dem es als Nothelfer tätig war. Für die restliche Zeit müsse der Patient mögliche Sozialhilfeleistungen einfordern.

Az.: B 8 SO 11/22 R (BSG, Überbrückungsleistungen)

Az.: B 8 SO 2/21 R (BSG, Abtretungserklärung)

Az.: B 8 SO 9/13 R (BSG, Fallpauschalen)

Frank Leth