Berlin (epd). Diese „Sternstunde des Parlaments“, wie ethische Debatten im Bundestag mit Abstimmungen ohne den sogenannten Fraktionszwang oft genannt werden, ist anders. Am Morgen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das Heizungsgesetz zu stoppen, bleiben bei der Debatte über ein Sterbehilfe-Gesetz am 6. Juli im Bundestag ungewöhnlich viele Reihen leer. Der Kanzler fehlt auf der Regierungsbank. Im Ministerrang sind nur Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vertreten. Die Debatte ist konzentriert und kontrovers. Am Ende gibt es ein für viele ernüchterndes Ergebnis: Der Bundestag lehnt alle Entwürfe ab. Die aktuell teils unklare Rechtslage bleibt folglich bestehen.
2020 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben das Recht umfasst, sich selbst zu töten und dabei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Suizidassistenz ist damit auch wieder in organisierter Form erlaubt. Sie bewegt sich aber in einem Graubereich, weil etwa das Betäubungsmittelgesetz nicht vorsieht, dass Medikamente zum Zweck der Selbsttötung abgegeben werden.
Zwei Gruppen von Bundestagsabgeordneten machten sich nach dem Urteil daran, Rechtssicherheit zu schaffen. Beide schlugen ein Verfahren vor. Die eine Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci betonte dabei den Schutz vor Missbrauch durch einen Vorschlag für eine strafrechtliche Regelung. Den Fokus auf Selbstbestimmung legte die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr und schlug eine Beratungsregelung vor. Das Betäubungsmittelgesetz wollten beide Gruppen ändern.
Dazu kommt es nun nicht, nachdem der Bundestag beide Entwürfe abgelehnt hat, wenn auch den von Castellucci mit 304 Ja- zu 363 Nein-Stimmen relativ knapp. Für den Vorschlag von Helling-Plahr stimmten 287 Abgeordnete, dagegen 375.
Enttäuschung über das Scheitern der Gesetze gab es danach nicht nur bei den Abgeordneten, die teilweise Jahre an einer Regelung gearbeitet hatten. Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, bedauerte mit Blick auf Betroffene die Entscheidung des Bundestags. Nicht nur Patientinnen und Patienten, auch Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und Einrichtungen hätten durchaus das Bedürfnis nach Klarheit, sagte sie dem epd. „Dass eine gesetzliche Neuregelung des assistierten Suizids ausgeblieben ist und nun eine gesetzliche Leerstelle droht, ist sicher kein gutes Ergebnis“, erklärte der Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, selbst Mediziner.
Die Kirchen appellierten an die Abgeordneten, einen neuen Anlauf zu unternehmen. Einer gesetzlichen Regelung bedürfe es weiterhin, erklärte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, warnte, dieses existenzielle Thema dürfe nicht ungeregelt bleiben.
„Es ist unerlässlich, dass die Anstrengungen zur Regulierung im nächsten Jahr wieder aufgegriffen werden“, sagte die Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, Eva Maria Welskop-Deffaa, am Donnerstag. Die Diakonie Deutschland teilte mit, sie sehe das Scheitern als Chance, um zu überzeugenderen Lösungen zu kommen. Castellucci und sein Mitstreiter Benjamin Strasser (FDP) ließen erkennen, dass sie einen neuen Versuch noch in dieser Wahlperiode erwägen.
Ihnen könnte aber auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zuvorkommen. Er teilte nach der Entscheidung im Parlament mit, jetzt die Rechtslage genau prüfen zu wollen. Das Gesundheitsministerium müsse sich damit beschäftigen, wie die Abgabe etwa des bei assistierten Suiziden eingesetzten Mittels Pentobarbital geregelt werde, sagte er.
Der Minister versprach zudem, einen Suizidpräventionsplan vorzulegen, nachdem der Bundestag zwar kein Suizidhilfe-Gesetz, aber mit überragender Mehrheit einen Antrag für mehr Suizidprävention verabschiedete. Immerhin das stieß auch bei Kirchen, Verbänden und Ethikrat auf lobende Worte. Wenn man über Hilfe und Begleitung beim Suizid nachdenkt, müsse man unbedingt gleichzeitig intensiv über Prävention nachdenken, sagte die Ethikratsvorsitzende Buyx.