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Katholische Arbeitnehmer: "12,41 Euro ermöglichen kein würdiges Leben"




Andreas Luttmer-Bensmann
epd-bild/KAB
Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (KAB) hält den Beschluss, den gesetzlichen Mindestlohn zum Jahreswechsel von derzeit 12 Euro auf 12,41 Euro pro Stunde zu erhöhen, für völlig unzureichend. "Damit ist gesellschaftliche Teilhabe fast unmöglich", sagt der Bundesvorsitzende Andreas Luttmer-Bensmann im Interview.

Köln (epd). „Man muss deutlich sagen: Es ist einfach zu wenig, was jetzt entschieden wurde.“ Mit diesen Worten kommentiert der Vorsitzende der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB), Andreas Luttmer-Bensmann, den Mehrheitsbeschluss der Mindestlohnkommission, die gesetzliche Lohnuntergrenze von derzeit 12 Euro in zwei Stufen zum 1.1.2024 und 1.1.2025 um je 41 Cent zu erhöhen. „Damit ist ein notwendiger Inflationsausgleich nicht erfolgt.“ Er kritisiert das Verfahren der Lohnfindung und fordert, soziale Kriterien zu entwickeln, die über die jetzige Orientierung an der allgemeinen Lohnentwicklung hinausgehen. Die KAB fordert 14,62 Euro zum Jahreswechsel. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Die Katholische Arbeitnehmerbewegung fordert, um im Kampf gegen Armut erfolgreich zu sein, sollte der Mindestlohn bei 60 Prozent des durchschnittlichen Bruttoverdienstes liegen. Das klingt zunächst schlüssig, aber ist diese Bezugsgröße nicht ein willkürlicher Wert? Schließlich wird Armut oder Armutsgefährdung unterschiedlich definiert.

Andreas Luttmer-Bensmann: Diese Messlatte ist nicht aus der Luft gegriffen. Denn eine Person gilt nach der EU-Definition als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. So soll jedes Land einen Mindestlohn festlegen, der einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. Mit 60 Prozent des durchschnittlichen Bruttoverdienstes würde dies für Deutschland erreicht und zumindest die definierte Schwelle für Einkommensarmut überschritten.

epd: Wir reden aber dennoch über die unterste Einkommensschicht ...

Luttmer-Bensmann: Ja. Teilhabe wird mit einer solchen Mindestlohnperspektive natürlich nicht für alle ermöglicht. Für einen Menschen mit einer Vollzeitbeschäftigung und ohne besondere Problemlagen würde dieser Mindestlohn aber immerhin die Chance bieten, nicht noch weiter abgehängt zu werden.

epd: Nach ihren Berechnungen hätte es einen Mindestlohn von 14,62 Euro geben müssen. Also noch einmal deutlich mehr als die von vielen Sozialverbänden bereits jetzt erhofften 14 Euro. Wie groß ist die Enttäuschung über die 12,82 Euro ab 1.1.2025? Und was ist zu tun?

Luttmer-Bensmann: Die Mindestlohnforderungen der KAB lagen in den vergangenen Jahren immer deutlich über allen anderen Forderungen. Unsere Höhe hat sich eben nicht an einer politischen Zahl, sondern an einer Berechnung orientiert. Enttäuscht sind wir nicht darüber, dass die 14,62 Euro nicht erreicht wurden, sondern dass eine angemessene Orientierung an den Lohnsteigerungen und ein notwendiger Inflationsausgleich nicht erfolgt ist. Man muss deutlich sagen, es ist einfach zu wenig, was jetzt entschieden wurde.

epd: War es nicht erwartbar, dass der Lohn nicht deutlicher ansteigt?

Luttmer-Bensmann: Leider war ein solcher Streit nach der politischen Entscheidung für die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro erwartbar. Die Frauen und Männer, die für Niedriglöhne arbeiten, sind aktuell kaum in der Lage, die Kosten des Alltags zu stemmen. Nun ist der Mindestlohn sogar für die kommenden Jahre zementiert. Menschen werden damit weiter ausgegrenzt, gesellschaftliche Teilhabe fast unmöglich.

epd: Ist es denn richtig, den Mindestlohn zum zentralen Instrument gegen Armut zu machen? Wer den Beschäftigten mehr Geld in der Tasche lassen will, könnte etwa auf die Mehrwertsteuer bei Lebensmitteln verzichten? Oder die Mineralölsteuer senken, damit das Tanken billiger wird? Dazu ist aber in den politischen Debatten nichts zu hören?

Luttmer-Bensmann: Der Mindestlohn ist sicher nur ein Instrument der Armutsbekämpfung. Weiterhin sollte aber der Grundsatz gelten, dass mit der eigenen Arbeit ein angemessenes und würdevolles Leben in Deutschland möglich sein muss. Eine stärkere und flächendeckende Tarifbindung der Unternehmen muss von der Politik eingefordert werden. Es kann nicht sein, dass sich Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen auf Kosten der Löhne von Arbeitnehmern. Auch die anderen Instrumente zur Abmilderung der Inflation und einer weiteren Armutsbekämpfung müssen von einer reichen Gesellschaft weiterentwickelt werden. Große Anstrengungen im politischen Raum kann ich aber nicht entdecken. Selbst eine Kindergrundsicherung wird weiter infrage gestellt.

epd: Erstmals wurde in der Mindestlohnkommission kein einstimmiger Beschluss gefasst. Wie ist das zu bewerten und was folgt daraus für die Zukunft? Muss der Staat also wieder das Heft des Handelns an sich ziehen?

Luttmer-Bensmann: Einen nochmaligen Eingriff der Politik in die Arbeit der Mindestlohnkommission wird es wohl nur in größter Not geben. Mit dieser Entscheidung sind aber große Problemfelder verbunden. So werden sich zukünftige Steigerungen des Mindestlohns an den vorherigen Werten orientieren. Die Schere der Lohnentwicklung wird damit weiter aufgehen. Gleichzeitig ist die bisher große Zustimmung zur Arbeit der Kommission infrage gestellt. Die schon bisher geführte Debatte um die Richtigkeit dieses Instruments Mindestlohnkommission wird sich weiter verschärfen.

epd: Sie fordern, bei der Mindestlohnfindung weitere soziale Kriterien zu definieren und festzuschreiben? An welche Parameter denken Sie da?

Luttmer-Bensmann: In der Ausgestaltung eines Mindestlohnes reicht die vorwiegende Orientierung an der Lohnentwicklung der vorhergehenden Jahre nicht aus. Die Menschen müssen jetzt Brot, Miete und Energie bezahlen. Insbesondere die aktuellen Entwicklungen bei Tarifverhandlungen, die Inflationsentwicklung und zu erwartende Veränderungen aus der sozial-ökologischen Transformation, wie die Energiekostenentwicklung, sollten mit in die Entscheidung einfließen. Die Höhe des Mindestlohns muss den aktuellen Lebenslagen der Menschen gerecht werden.



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