sozial-Recht

Bundesarbeitsgericht

Tariflohn für Leiharbeit darf geringer ausfallen




DGB-Transparent "Gleiche Arbeit? - Gleiches Geld!" (Archivbild)
epd-bild/Jens Schulze
Schutzregelungen und Ausgleichsvorteile wie mehr Freizeit können für Leiharbeiter eine geringere tarifliche Entlohnung rechtfertigen. Letztlich muss eine Gleichstellung mit der Stammbelegschaft gewährleistet sein, urteilte das Bundesarbeitsgericht.

Erfurt (epd). Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer dürfen in den ersten neun Monaten ihres Einsatzes nach einem geringeren Tariflohn bezahlt werden als die Stammbelegschaft des Entleihbetriebs. Das ist zulässig, wenn sie im Gegenzug Ausgleichsvorteile wie Lohnfortzahlung in einsatzfreien Zeiten erhalten, urteilte am 31. Mai das Bundesarbeitsgericht (BAG). Die EU-Leiharbeitsrichtlinie lasse eine tarifliche Schlechterstellung bei der Entlohnung von Leiharbeitnehmern ausdrücklich zu, sofern dies unter „Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ erfolgt, betonten die Erfurter Richter.

Kein Anspruch auf gleiche Bezahlung

Das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) und die EU-Leiharbeitsrichtlinie sehen Leiharbeitnehmer als besonders schutzwürdig an und wollen daher insgesamt eine Gleichstellung mit der Stammbelegschaft im eingesetzten Betrieb sicherstellen. Ein solcher gesetzlicher Gleichstellungsschutz besteht dagegen für benachteiligtes Stammpersonal bislang nicht. So können sich etwa in der Pflegebranche Leiharbeitskräfte die Dienste im eingesetzten Krankenhaus oder Pflegeheim meist aussuchen, während fest angestellte Pflegekräfte dann häufiger die Arbeit an Wochenenden, Feiertagen übernehmen müssen. Ein Anspruch auf „Equal Pay“, also die gleiche Bezahlung, besteht für Stammbeschäftigte nicht.

Im entschiedenen Rechtsstreit ging es jedoch nicht um eine Pflegekraft, sondern um eine befristet beschäftigte Leiharbeitnehmerin. Sie wurde von Januar bis April 2017 als Kommissioniererin in einem bayerischen Einzelhandelsbetrieb eingesetzt. Die Leiharbeitsfirma, die TimePartner Personalmanagement, zahlte ihr einen Stundenlohn von 9,23 Euro brutto. Grundlage für die Entlohnung war der zwischen der Gewerkschaft ver.di und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen geschlossene Tarifvertrag.

Die Frau verlangte jedoch mehr und berief sich auf den Equal-Pay-Grundsatz. Dieser besagt, dass Leiharbeitnehmer genauso entlohnt werden müssen wie das Stammpersonal im eingesetzten Betrieb. Nach ihren Angaben erhielten die Stammbeschäftigten einen Stundenlohn von 13,64 Euro. Ihr stehe daher ein Lohnnachschlag von insgesamt 1.297 Euro zu.

Ausgleichende Vorteile

Der Leiharbeitgeber lehnte die Lohnforderung ab. Nach geltendem Recht könnten die Sozialpartner in Tarifverträgen niedrigere Entgelte vereinbaren. Auch das deutsche AÜG lasse tarifvertragliche Abweichungen vom Equal-Pay-Gebot zumindest für die ersten neun Monate einer Überlassung zu.

Das BAG hatte den Rechtsstreit zunächst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt und wollte wissen, inwieweit die deutschen Regelungen mit der EU-Leiharbeitsrichtlinie vereinbar sind. Dieser urteilte am 15. Dezember 2022, dass das EU-Recht einen „Gesamtschutz“ für Leiharbeitnehmer vorschreibt. Es gelte der Gleichbehandlungsgrundsatz, so dass Leiharbeitnehmer insgesamt nicht schlechter gestellt werden dürften. Tarifverträge könnten aber durchaus niedrigere Löhne für Leiharbeitnehmer vorsehen. Dafür müssten dann bei den wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ausgleichende Vorteile gewährt werden.

Diese könnten sich etwa auf die Dauer der Arbeitszeit, Pausen, Nachtarbeit, Urlaub oder auch arbeitsfreie Tage beziehen. Andernfalls würde der vorgeschriebene Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer „zwangsläufig geschwächt“.

Lohnfortzahlung in verleihfreien Zeiten

Für Leiharbeitgeber bedeute dies, dass sie in jedem Einzelfall je nach Einsatzbetrieb mit unterschiedlichen tariflichen Regelungen einen möglichen Ausgleich einer bestehenden Ungleichbehandlung prüfen müssten. Keine Rolle spiele es hierfür, ob der Leiharbeitnehmer befristet oder unbefristet beschäftigt sei. Gebe es Streit um die Frage, ob ein Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer eingehalten wird, müssten die Gerichte darüber entscheiden.

Im konkreten Fall urteilte das BAG nun, dass tarifvertragliche „Ausgleichsvorteile“ und gesetzliche Schutzregelungen gleichermaßen zu berücksichtigen seien. Der von der Klägerin angeführte niedrigere Lohn stelle zwar einen Nachteil dar, sei aber in der Summe gerechtfertigt. Die Klägerin erhalte dafür andere Vorteile, die den angeführten Nachteil wieder ausgleichen.

So sähen sowohl der Tarifvertrag für Leiharbeiter als auch das Gesetz eine Lohnfortzahlung in verleihfreien Zeiten vor. Diese Schutzregelung gelte in Deutschland - anders als in zahlreichen anderen EU-Ländern - auch für befristete Leiharbeitsverträge. Das wirtschaftliche Risiko trage damit der Arbeitgeber.

Zudem dürfe das tarifliche Entgelt der Leiharbeitnehmer nicht schrankenlos abgesenkt werden. So dürfe der gesetzliche Mindestlohn nicht unterschritten werden. Eine tarifliche Abweichung vom Grundsatz der gleichen Bezahlung sei außerdem auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses beschränkt.

Az.: 5 AZR 143/19 (BAG)

Az.: C-311/21 (EuGH)

Frank Leth