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Pflege

Seniorenverband fordert "Neukonzeption des Pflegesystems"




Protest gegen Pflegenotstand
epd-bild/Jürgen Blume
Der Unmut über die vom Bundestag beschlossene Reform ist gewaltig. Verbände und Oppositionspolitiker sprechen abschätzig von einem "Reförmchen". Die Novelle werde dem Ernst der Lage nicht gerecht. Das Pflegesystem müsse neu konzipiert werden.

Bonn, Berlin (epd). Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (Bagso) fordert eine grundlegende Neukonzeption des Pflegesystems. Knapp drei Jahrzehnte nach Einführung der Pflegeversicherung stehe das „bestehende System der Pflege am Scheideweg“, erklärte der Dachverband am 30. Mai in Bonn. „Kleinteilige Reformen“ wie das am 26. Mai beschlossene Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz lösten die wesentlichen Probleme in der Pflege nicht. Die Diakonie sprach von „Flickschusterei“.

„Leistungsverbesserungen nicht ausreichend“

Die Opposition im Bundestag kritisierte die mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen beschlossenen Leistungsverbesserungen als nicht ausreichend. Auch Vertreterinnen der Ampel räumten ein, sie hätten sich mehr gewünscht. Die Linke kritisierte, die Anhebung des Pflegegeldes um fünf Prozent sei angesichts der hohen Inflation real eine Kürzung. Das Pflegegeld war zuletzt 2017 erhöht worden.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verteidigte in der Debatte seine Reform. Für pflegende Angehörige gebe es deutliche Verbesserungen, sagte er und hob deren Engagement hervor. Die Gesellschaft könne sich glücklich schätzen, dass sich so viele Angehörige der Pflege widmeten. Fast vier Fünftel der rund fünf Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause versorgt.

In ihrem Positionspapier „Sorge und Pflege: Neue Strukturen in kommunaler Verantwortung“ spricht sich die Bagso dafür aus, den Kommunen die Verantwortung für die Versorgung von Hilfs- und Pflegebedürftigen zu übergeben. Nach Ansicht der Bagso muss es Aufgabe der Kommunen sein, bedarfsgerechte Angebote für Sorge und Pflege sicherzustellen und Akteure zu vernetzen.

Kommunen sollen Pflegebedarfsplanungen machen

Der Dachverband verlangt zudem die verpflichtende Einführung eines Case- und Care-Managements, das die Unterstützungsbedarfe älterer Menschen ermittelt und individuelle Hilfepläne entwickelt. Kommunen sollten überdies verpflichtet werden, Pflegebedarfsplanungen zu erstellen.

„Die Bagso appelliert an die Politik, endlich mit dem Flickwerk an der Pflege aufzuhören. Pflegebedürftige brauchen jetzt und in Zukunft eine verlässliche Versorgung“, sagte die Verbandsvorsitzende und frühere CDU-Sozialministerin im Saarland, Regina Görner. Die Versorgung könne nur vor Ort, in den Kommunen, bedarfsgerecht organisiert werden. „Kommunen brauchen dafür einen gesetzlichen Auftrag und eine angemessene Finanzierung“, betonte sie.

In ihrem Positionspapier legt die Bundesarbeitsgemeinschaft zudem Vorschläge vor, wie die professionelle Pflege gestärkt und pflegende Angehörige besser entlastet werden können. Sie fordert, Pflege dauerhaft bezahlbar zu machen und soziale Ungleichheit abzubauen. Gute Rahmenbedingungen für ein gesundes Altern seien wichtig, um Krankheit und Pflegebedürftigkeit so lange wie möglich zu vermeiden.

„Pflegende Angehörige stehen im Regen“

Der Bundesverband der Diakonie forderte „statt Flickschusterei einen Masterplan für eine grundlegende Reform der Pflege“. Die Vorständin Sozialpolitik, Maria Loheide, kritisierte scharf: „Dieses Gesetz ist eine Enttäuschung für alle Pflegebedürftigen, Pflegenden und Angehörigen. Es lässt vor allem pflegende Angehörige im Regen stehen.“

Wenn nicht bald eine grundlegende Pflegereform komme, „riskieren wir, dass Pflegebedürftige nicht mehr professionell versorgt werden können und pflegende Angehörige erschöpft aufgeben müssen. Das wäre eine Katastrophe!“

Die Kritik der Interessenvertretung und Selbsthilfeorganisation für pflegende Angehörige, wir pflegen e.V., erkennt in dem Gesetz „erste zaghafte Schritte zur Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger“. Allerdings lasse sich „das Ziel, die häusliche Pflege zu stärken und pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen und Pflegepersonen nachhaltig zu entlasten, über die viel zu kurz gegriffenen Maßnahmen des Gesetzes nicht erreichen“. Das beurteilt die Organisation angesichts der steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen als „fatal“.

Markus Jantzer, Holger Spierig


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