sozial-Recht

Bundesgerichtshof

Für eine Betreuung muss ein konkreter Bedarf bestehen




Schild des Bundesgerichtshofs
epd-bild/Uli Deck
Für die gerichtliche Bestellung eines Betreuers muss für jeden einzelnen Aufgabenbereich auch wirklich ein Betreuungsbedarf bestehen. Es ist nicht zulässig, allein wegen einer schweren psychischen Erkrankung eine umfassende Betreuung anzuordnen.

Karlsruhe (epd). Unter Betreuung stehenden Menschen muss ein möglichst hohes Maß an Selbstbestimmung über ihr Leben belassen werden. Soll eine Betreuung angeordnet oder verlängert werden, muss deshalb für jeden Aufgabenbereich geprüft werden, ob dafür auch tatsächlich ein Betreuer erforderlich ist, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 24. Mai veröffentlichten Beschluss. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, müsse anhand der konkreten, aktuellen Lebenssituation des Betroffenen beurteilt und dürfe nicht pauschal bestimmt werden.

Unveränderter Aufgabenkreis

Das Landgericht Duisburg muss damit erneut über die Verlängerung der Betreuung für eine an einer Schizophrenie erkrankten Frau entscheiden. Die Frau aus dem Raum Dinslaken steht seit vielen Jahren unter Betreuung. Zuletzt war ihr Betreuer für den Aufgabenbereich Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge mit Sozialhilfe- und Unterhaltsangelegenheiten, Vertretung bei Behörden und Ämtern, Gesundheitssorge, Regelung des Postverkehrs sowie Wohnungsangelegenheiten zuständig.

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen verlängerte das Amtsgericht Dinslaken die Betreuung mit unverändertem Aufgabenkreis bis zum 29. Mai 2029. Das Landgericht hatte diese Entscheidung bestätigt.

Der BGH hielt dies für fehlerhaft. Zwar habe der Sachverständige festgestellt, dass die Betroffene weiterhin betreuungsbedürftig sei, da ihr Denken, Handeln und Planen von dem „psychotischen Erleben“ bestimmt werde. Das Landgericht habe aber nicht geprüft, ob tatsächlich für jeden Aufgabenbereich eine Betreuung erforderlich ist. Ein Gericht müsse nicht nur prüfen, ob eine Betreuerbestellung grundsätzlich erforderlich ist und eine Vorsorgevollmacht oder andere Hilfen dem entgegenstehen. „Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Anordnung eines bestimmten Aufgabenbereichs“, forderte der BGH.

Hier habe der Gutachter die generelle Betreuungsbedürftigkeit mit der psychischen Erkrankung begründet, nicht aber, warum die Betroffene in ihrer derzeitigen konkreten Lebenssituation in jedem einzelnen Aufgabenbereich der Unterstützung durch einen Betreuer bedürfe. Insbesondere sei unklar, warum eine Betreuung für private Postangelegenheiten erforderlich sei. Das Landgericht müsse daher erneut über die Betreuung entscheiden.

Persönliche Anhörung

In einem weiteren, am 17. Mai veröffentlichten Beschluss, hat der BGH bekräftigt, dass im Betreuungsverfahren die Betroffenen nach jedem eingeholten Gutachten erneut wegen der Bestellung eines Betreuers angehört werden müssen. Auch nahe Angehörige, die laut Vorsorgevollmacht die Betreuung übernehmen sollen, aber wegen des Vorwurfs mangelnder Eignung übergangen wurden, müssten hierzu persönlich angehört werden.

Konkret ging es um eine schwer demenzkranke alte Frau aus dem Landkreis Biberach, die in einer Vorsorgevollmacht ihre Tochter zur Wahrnehmung ihrer rechtlichen Angelegenheiten bestimmt hatte. Das Amtsgericht Riedlingen hatte im Wege einer einstweiligen Anordnung eine Berufsbetreuerin bestellt. Diese widerrief die von der alten Frau erteilte Vorsorgevollmacht. Die Tochter sei ungeeignet. So habe sie sich mangelhaft um ihre Mutter gekümmert. Die alte Frau sei einmal in nahezu verwahrlostem Zustand in ein Krankenhaus eingeliefert worden.

Das Landgericht hörte die Betreuerin, die Tochter und eine Verfahrenspflegerin persönlich zur Betreuerbestellung an. Zu den gemachten Vorwürfen wurde die Tochter nicht befragt. Danach wurde ein ärztliches Gutachten eingeholt und eine neue Berufsbetreuerin bestellt.

Vorrang vor Berufsbetreuer

Der BGH hat das Verfahren wegen mehrerer Rechtsfehler zur erneuten Prüfung zurückverwiesen. Nahe Angehörige, hier die Tochter, hätten grundsätzlich Vorrang vor der Bestellung eines Berufsbetreuers. Dies gelte erst recht, wenn die Betroffene dies wünsche oder dies sogar in einer Vorsorgevollmacht bestimmt hat. Nur bei einer mangelnden Eignung und Redlichkeit des Angehörigen habe ein Berufsbetreuer Vorrang.

Hier habe es aber nur Vorwürfe Dritter gegen die Tochter gegeben. Das Gericht hätte selbst prüfen müssen, ob die Tochter zur Betreuung geeignet sei. Eine persönliche Anhörung der Tochter hinsichtlich der mangelnden Eignung wäre daher Pflicht gewesen.

Auch die Betroffene selbst hätte zur Betreuerbestellung persönlich angehört werden müssen - und zwar erst nach und nicht vor dem neu eingeholten Sachverständigengutachten. Denn nur so könne sich das Gericht ein eigenes Bild über die gutachterlichen Feststellungen machen.

Az.: XII ZB 462/22 (BGH, Aufgabenbereich)

Az.: XII ZB 285/22 (BGH, Anhörung)

Frank Leth