sozial-Branche

Pflege

Verbände fordern weiter gehenden Reformwillen




Pflegeheim in Bremen
epd-bild/Werner Krüper
Trotz vehementer Forderungen nach Korrekturen des Gesetzes: Die Verbände konnten die Ampel-Parteien nicht überzeugen, eine aus ihrer Sicht wirksamere Pflegereform auf den Weg zu bringen. Auch deshalb halten sie mit ihrer Kritik nicht hinter dem Berg - und hoffen darauf, dass das Thema Pflege nicht ad acta gelegt wird.

Berlin (epd). Vor der Verabschiedung des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes am 26. Mai im Bundestag haben sich mehrere Sozial- und Fachverbände erneut für weitere Reformen ausgesprochen. „Wir erwarten, dass Minister Lauterbach das Kapitel 'Pflegereform' damit für diese Legislaturperiode nicht ad acta legt, sondern zeitnah die Themen aufgreift, die diesmal hinten runtergefallen sind“, sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa am 23. Mai in Berlin. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) kritisierte, die Pflegekosten würden für Angehörige und Betroffene nicht gesenkt.

Das sieht auch die Caritas so. Als Folge des aktuellen Gesetzes hätten Pflegebedürftige und ihre Angehörigen das Nachsehen. „Die Chance auf einen großen Schritt wird mit diesem Kompromissvorschlag verspielt“, so die Präsidentin.

Entlastungspaket kommt zu spät

Dass es nun ein Entlastungsbudget gebe, das Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege vereine, sei zwar zu begrüßen, komme jedoch zum 1. Juli 2025 viel zu spät und werde auch noch durch Kürzung bei der geplanten Dynamisierung der Pflegeleistungen finanziert. „Gut, dass wenigstens Familien mit Kindern mit Behinderungen bereits ab 2024 davon profitieren können“, betonte Welskop-Deffaa. Ein nachhaltig tragfähiges Pflegesystem aber sehe anders aus. Die jetzt umgesetzten Vorhaben bleiben nach ihrer Meinung weit hinter den geplanten Änderungen im Koalitionsvertrag zurück.

So lasse die jetzige Pflegereform auch die Regulierung der 24-Stunden-Pflege außen vor. Es gebe noch keine Antwort auf die Frage nach fairen gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Rund-um-die-Uhr-Pflege in privaten Haushalten.

Zu geringe Anhebung der Leistungsbeträge

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) warnte, dass sich Pflegebedürftige künftig die Pflege trotz der Reform nicht mehr leisten können. Präsident Bernd Meurer sagte am 24. Mai: „Wenn Minister Lauterbach sein aktuelles Gesetz als eine große Reform anpreist, dann hofft er, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen der Grundrechenarten nicht mächtig sind.“ Die minimale Anhebung der Leistungsbeträge gleiche noch nicht einmal die Kostensteigerung der letzten Jahre aus. „Pflegebedürftige und ihre Angehörigen müssen nach wie vor die bittere Entscheidung treffen, wie viel Körperpflege oder wie viele Tage in der Tagespflege sie sich überhaupt noch leisten können“, so Meurer. Wichtige Entlastungen würden wegbrechen.

Zudem ignoriere Lauterbach die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler Pflegeeinrichtungen. Längst sei die Versorgungssicherheit in vielen Regionen Deutschlands nicht mehr gegeben. „Pflegebedürftige und ihre Angehörigen finden nicht mehr die Versorgung, die sie wollen und brauchen. Die Ampel-Koalition zeigt kein Interesse daran, die Pflege zukunfts- und demografiefest aufzustellen“, rügte der Verbandschef.

Pflegerat enttäuscht über geringe Reformtiefe

Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogler, rügte das Gesetz ebenfalls als nicht ausreichend. „Bei diesem Gesetzentwurf hat man den Eindruck, dass sich die Pflege in Deutschland in einem Prozess des finanziellen Aushandelns, des Pokerns und Feilschens befindet. Dringend notwendige Verbesserungen unterbleiben weitestgehend. Auf die Zukunft ist eine solche Pflegepolitik nicht gebaut“, bemängelte Vogler am 25. Mai in Berlin. Das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz sei ein Versuch, zu retten, was wir übermorgen gar nicht mehr mit der vorhandenen Pflegeversicherung gestemmt bekommen: „Das ist kein Gesetz, das die Versorgung sichert.“

Die Präsidentin forderte, das System nachhaltig zu stabilisieren. „Verabschiedet wird jetzt dagegen eine nur kurzfristige, notdürftige Rettung des Systems, um dieses am Laufen zu halten.“ Sie vermisse eine politisch durchdachte Strategie für ein funktionierendes Gesundheitssystem. „Das wenig nachhaltige Handeln von heute holt uns spätestens in fünf Jahren ein. Dann ist der Kipppunkt erreicht“, so Vogler.

Die Lebenshilfe wertete es als Erfolg ihrer Lobbyarbeit, dass das Entlastungsbudget nun doch wieder im Gesetz steht. Aber, so die Vorsitzende Ulla Schmidt: „Mehr als bedauerlich ist jedoch der Kuhhandel: Mit der Finanzierung des Entlastungsbudgets, des gemeinsamen Jahresbetrages für die Verhinderungs- und die Kurzzeitpflege für häuslich gepflegte Menschen geht nämlich die Kürzung der geplanten Erhöhung der ambulanten Pflegeleistungen einher.“ Statt wie bisher vorgesehen, würden diese Leistungen 2025 nun lediglich um 4,5 statt um 5 Prozent steigen. „Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass in einer nächsten Reformstufe die ambulanten Pflegeleistungen in angemessenem Umfang angehoben werden und dass künftig auch Menschen mit Behinderung, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, von diesen Leistungen nicht mehr ausgeschlossen sind“, forderte Schmidt.

AGVP geht Länder scharf an

Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) forderte den Bundestag auf, die Vorschläge der Bundesländer, private Anbieter von Pflegediensten stärker zu regulieren, zu ignorieren. „Mit ihrem Pflege-Sozialismus gefährden die Länder die Versorgung“, warnte Präsident Thomas Greiner. „Die Bundesländer haben die Aufgabe, eine ausreichende Zahl an Heimplätzen zu garantieren und die Investitionskosten zu übernehmen. Aber statt endlich ihren Job zu machen, damit alle Pflegebedürftigen gut versorgt und untergebracht werden können, werfen sie den Heimen weitere Knüppel zwischen die Beine.“

Mit einer Kennzeichnungspflicht privater Pflegeeinrichtungen und einem Register zur Offenlegung nachgelagerter Inhaberstrukturen würde kein einziger zusätzlichen Heimplatz geschaffen. Greiner: „Wenn die Länder mit derselben Tatkraft und Entschlossenheit in die Pflege investieren würden, mit der sie die privaten Heimbetreiber dämonisieren, hätten wir nicht diese Versorgungsengpässe in der Pflege.“

Dirk Baas