sozial-Recht

Bundesgerichtshof

Patientenverfügung muss Behandlungssituation benennen




Eingang zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe
epd-bild/Uli Deck
Bei einer schweren Erkrankung müssen sich Ärzte an den klar vom Patienten geäußerten Behandlungswunsch halten. Anderes gilt jedoch, wenn wegen einer untersagten Therapie womöglich andere Personen gefährdet werden, entschied der Bundesgerichtshof.

Karlsruhe (epd). Eine für Ärzte und Angehörige verbindliche Patientenverfügung muss sich auf konkrete Behandlungssituationen des Kranken beziehen. Verbietet ein psychisch kranker Patient jedoch jede Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka und führt das zu einer konkreten Gefährdung des medizinischen Personals oder anderer Personen, muss er damit rechnen, dass sein Wille nicht berücksichtigt wird, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 17. Mai veröffentlichten Beschluss.

In dem Fall ging es um einen Straftäter, der an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt ist. Der psychisch kranke Mann ist seit 2017 im Maßregelvollzug einer forensischen Psychiatrie untergebracht. Dort lehnte er von Anfang an die Einnahme von Neuroleptika ab.

Verbot von Neuroleptika verfügt

Er verwies auf seine im Januar 2015 verfasste Patientenverfügung. Darin hatte der Mann festgeschrieben: „Ich verbiete jedem Arzt, Pfleger (und anderen Personen) mir Neuroleptika in irgendeiner Form gegen meinen Willen zu verabreichen oder mich dazu zu drängen.“

Die behandelnden Ärzte hielten die sechswöchige Medikamentengabe jedoch für erforderlich, um eine dauerhafte Chronifizierung der Beschwerden zu verhindern. Ohne Behandlung drohe eine lebenslange Unterbringung. Die für die Zwangsmedikation erforderliche Genehmigung sollte ein Gericht erteilen.

Das Landgericht Regensburg lehnte das jedoch ab. Die Patientenverfügung und das darin enthaltene Verbot seien wirksam, befand das Gericht. Es liege auch keine „konkrete Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer anderen Person in der Einrichtung“ vor, wenn die Zwangsbehandlung unterbleibe.

BGH verweist Verfahren zurück ans Landgericht

Der BGH verwies das Verfahren zurück und entschied, dass eine Patientenverfügung nur dann bindend sei, wenn klar sei, für welche konkrete Behandlungssituation sie gelten solle. Außerdem müssten die Konsequenzen der unterbliebenen Behandlung erwogen worden sein. Im Streitfall sei gar nicht klar, ob der Betroffene beim Verfassen seines Willens bedacht hat, dass er als mögliche Folge einer unterbliebenen Behandlung gegebenenfalls lebenslang im Maßregelvollzug verbleiben müsse.

Eine Zwangsmedikation trotz Patientenverfügung sei auch dann gerechtfertigt, wenn dadurch eine Gefahr für Leib und Leben von Ärzten, Pflegepersonal und Besuchern abgewendet werden könne. Eine „gravierende Gefährdung“ anderer Personen sei dafür nicht erforderlich. Es reiche aus, dass der Patient - wie im vorliegenden Fall - in der Vergangenheit mehrfach Pflegepersonal angegriffen habe. Die bayerischen Regelungen würden in solch einem Fall eine erforderliche Zwangsmedikation erlauben.

Wille des Patienten muss eindeutig formuliert sein

Am 6. Juli 2016 hatte der BGH in einem anderen Verfahren bereits betont, dass sich eine Patientenverfügung auf konkrete Maßnahmen oder konkrete Krankheiten beziehen müsse. Allein die Ablehnung „lebensverlängernder Maßnahmen“ in einer Verfügung reiche nicht aus, damit etwa die künstliche Ernährung eines Patienten beendet werde. Aus der Patientenverfügung müsse klar hervorgehen, ob sich der geäußerte Wille des Patienten auf die künstliche Ernährung oder etwa auf die Beatmung beziehe. Andernfalls könne sie keine Bindungswirkung entfalten, so das Gericht.

Ähnlich müsse auch aus einer Vorsorgevollmacht klar hervorgehen, ob die bevollmächtigte Person nur über die unmittelbare medizinische Behandlung oder auch über lebenserhaltende Maßnahmen wie die künstliche Ernährung oder die künstliche Beatmung entscheiden dürfe und ob das für die Ärzte verbindlich sein solle.

Ist in einer Patientenverfügung ein Sterbewunsch für eine bestimmte Behandlungssituation klar benannt, müssen sich Ärzte, Angehörige und Betreuer auch ohne eingeholten Gerichtsbeschluss daran halten, so der BGH in einem Beschluss vom 14. November 2018. Zwar bekräftigte das Gericht auch hier, dass die Erklärung „lebensverlängernde Maßnahmen lehne ich ab“ nicht ausreiche.

Sterbewunsch für alle bindend

Hier habe sich die 78-jährige Schlaganfallpatientin in ihrer Verfügung aber eindeutig auf Situationen bezogen, in denen „keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht“. Das sei zwar immer noch eine weitgefasste Formulierung; sie sei aber auf die konkrete Situation der Patientin anwendbar. Der in der Patientenverfügung geäußerte Sterbewunsch sei daher für alle unmittelbar bindend.

Am 17. September 2014 hatte der BGH betont, dass auch ohne unmittelbar bevorstehenden Tod die Wünsche des Patienten hinsichtlich der Art und Weise der medizinischen Behandlung zu berücksichtigen seien. Eine Patientenverfügung sei zur Ermittlung des Patientenwillens zwar hilfreich, aber nicht zwingend notwendig. Auch ein geäußerter Behandlungswille oder der „mutmaßliche Wille“ des Patienten könnten Anhaltspunkte dafür geben, welche medizinischen Maßnahmen bei einem Betroffenen angewendet werden sollen.

Az.: XII ZB 232/21 (Bundesgerichtshof Zwangsbehandlung)

Az.: XII ZB 61/16 (Bundesgerichtshof lebensverlängernde Maßnahmen)

Az.: XII ZB 107/18 (Bundesgerichtshof Sterbewunsch)

Az.: XII ZB 202/13 (Bundesgerichtshof Patientenwunsch)

Frank Leth