Bad Bergzabern (epd). Hiba Rasched legt ein Bündel Papiere auf den Tisch: Briefe vom Jobcenter, Leistungsbescheide und ein Antrag auf Lernmittelfreiheit, den ihre kleine Tochter wochenlang im Schulranzen herumtrug. „Die Frist ist schon vorüber“, sagt Kerstin Ledtermann, die im „Haus der Familie“ der evangelischen Kirchengemeinde Bad Bergzabern für die Migrationsberatung zuständig ist. Die junge Mutter aus dem Irak, die kaum Deutsch versteht, kann die Post nicht lesen. „Frau Kerstin hilft viel“, sagt sie.
„Wir sind alles Schwestern“, antwortet Kerstin Ledtermann und lacht. Zahlreiche andere Migranten, vor allem aus arabischen und afrikanischen Ländern, warten schon, bis sie an der Reihe sind. Nebenan in der Küche wird das Essen für Menschen mit schmalem Geldbeutel zubereitet: Es gibt Tortellini-Auflauf mit Salat und zum Nachtisch ein Eis. Zweimal in der Woche wird zur „Mahlzeit“ eingeladen, sagt Hausleiterin Helga Schreieck.
Die Beratung für Migranten und Flüchtlinge und das Mittagessen für Bedürftige sind nur zwei von zahlreichen Projekten, die ein engagiertes Team aus einigen Haupt- und vielen Ehrenamtlichen seit Jahren unter dem Dach des „Hauses der Familie“ anbietet. Die Protestantinnen und Protestanten in der südpfälzischen Kurstadt in der Nähe zur Grenze nach Frankreich setzen einen klaren Schwerpunkt in der Gemeinwesenarbeit, erzählt Dekan Dietmar Zoller. „Wir knüpfen am Netz der Nächstenliebe, damit niemand durch die Maschen fällt“, zitiert er das Motto seiner Gemeinde.
Immer mehr Pfälzer Kirchengemeinden geben sich, wie schon länger auch in Pirmasens, Kaiserslautern und Ludwigshafen, ein diakonisches Profil. Sie wollen für die Menschen in ihrer Nachbarschaft da sein und mit Rat und Tat helfen. Man müsse verstärkt „Kirche für andere“ sein und die Menschen mit ihren Bedürfnissen wahrnehmen, sagt die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst. Markus Jäckle, der landeskirchliche Diakoniedezernent, appelliert: „Wir müssen wieder diakonischer werden.“ Die Gesellschaft messe die Kirche daran, was sie für arme, alte, kranke und behinderte Menschen tue.
Im seit 2009 bestehenden „Haus der Familie“ wird die tätige Nächstenliebe für die Stadt Bad Bergzabern und ihr Umland mit insgesamt rund 25.000 Einwohnern vorbildlich umgesetzt: Dessen Türen stehen offen für alle Menschen, ohne Ansehen von Alter, Religion oder Herkunft. Dort und in der Stadt verstreut gibt es etwa ein Begegnungscafé, Sprachkurse, Angebote für Senioren, Hausaufgabenhilfe, eine Kleiderkammer, ein Möbellager und eine Fahrradwerkstatt. Seit einiger Zeit helfen Ehrenamtliche im „Büro Lichtblick“, wenn Menschen der Papierkram über den Kopf wächst.
Ende 2024 soll ein neues „Zentrum für Zusammenleben und Nachhaltigkeit“ bezogen werden, in dem dann viele der diakonischen Angebote zusammengefasst sind. Rund 3,4 Millionen Euro investiert die Kirchengemeinde in den Umbau einer alten Druckerei, informiert Dekan Zoller. 1,7 Millionen davon erhält sie über Fördermittel. Bei der Finanzierung ihrer Arbeit sei die Kirchengemeinde weitgehend auf sich selbst, auf öffentliche Gelder, Sponsoren oder Spenden angewiesen, erzählt der Dekan. Wichtig sei die Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Akteuren und Behörden, um den Menschen schnell helfen zu können.
Die ehrenamtlichen Helfer seien der „größte Schatz“, den man pflegen müsse, betont Hausleiterin Schreieck. Auch Kirchendistanzierte wie der 70-jährige Lutz Fery packen mit an: Im Projekt „Umschwung“ für Senioren veranstaltet er PC-Kurse für Anfänger. „Ich gebe etwas 'rein und bekomme etwas zurück“, erklärt Fery, warum er noch immer dabei ist.
Für viele Menschen ist das „Haus der Familie“ eine wichtige Anlaufstelle. Christian Gölter ist mit seinem Elektromobil zum Mittagstisch gefahren. Ein bis zwei Mal in der Woche komme er vorbei, erzählt der beinamputierte Mann. „Das ist super für Leute, die wenig Geld haben“, sagt er.
Vor allem könne man im kirchlichen Haus auch andere Menschen treffen, betont eine Frau, die gemeinsam mit einer Freundin am Tisch sitzt. Sie ist psychisch krank, alleinstehend und arbeitslos. Für sie sei es eine „Hemmschwelle, auf andere Menschen zuzugehen“, erzählt sie leise. Als Arbeitssuchende sei sie „oft nur eine Nummer“, klagt sie sie. „Hier aber sehen sie mich.“