sozial-Branche

Behinderung

Barbie im Rollstuhl




Inklusive Spielsachen
epd-bild/Judith Kubitscheck
Eigentlich könnte das Miteinander von Behinderten und Nicht-Behinderten wenig kompliziert sein. Doch Verena Niethammer, Mutter eines Sohns im Rollstuhl, weiß, dass es das nicht ist. Sie will etwas ändern und verschickt Boxen mit inklusivem Spielzeug.

Heilbronn (epd). Verena Niethammer aus Nordheim bei Heilbronn ist dabei, Päckchen zu packen. An Kitas, Schulen, Jugendgruppen sowie an interessierte Menschen in ganz Deutschland verschickt sie ihre sogenannten „Inklusionsboxen“: Ausleih-Kisten mit Spielsachen und Büchern, die den Inklusionsgedanken fördern sollen. Gerade stellt sie eine Box für eine Grundschule in Norddeutschland zusammen. Neben Bilderbüchern zum Thema Vielfalt und Behinderung kommen auch eine dunkelhäutige Barbie im Rollstuhl mit hinein und ein Teddy mit Magensonde und einer speziellen Kleidung. „Der Bär hat einen sogenannten Sondenbody mit Druckknöpfen, die man öffnen kann, um die Sonde herauszuholen und eine Spritze anzuschließen“, erklärt Niethammer.

Empathie wecken

Wie eine Magensonde funktioniert, weiß sie genau: Ihr achtjähriger Sohn Mattis trägt eine, er ist mehrfach behindert und sitzt im Rollstuhl. Auch Orthesen, also medizinische Hilfsmittel zum Ruhigstellen von Gelenken , aus denen ihr Sohn herausgewachsen ist, legt sie in die Box. „Die Kinder können die sich selbst anschnallen, und spüren, wie es sich anfühlt, wenn man so ein Ding am Fuß hat, was nicht unbedingt bequem ist.“ Denn sie ist überzeugt: Viel Empathie entsteht auch dann, wenn Kinder selbst etwas erfahren, anschauen und anfassen können.

„Viele wissen überhaupt gar nichts über Behinderung. Und das merkt man schon daran, dass auf dem Schulhof 'Du Spast' ein Schimpfwort ist.“ Das schmerzt die Mutter, deren Sohn Spastiker ist und dessen Füße ein wenig zur Seite stehen. „Wir waren kürzlich im Freizeitpark und da kam uns ein Kind entgegen, das auf meinen Sohn zeigte und 'Boah, krass ey', sagte“, erzählt sie. Leider sei sie damals nicht so schlagfertig gewesen, zu erwidern: „Gell, mein Sohn hat einen tollen Rollstuhl!“, sondern sie habe sich nur gewundert, dass es immer noch etwas so Besonderes sei, wenn ein schwerbehindertes Kind im Freizeitpark unterwegs sei.

Deshalb ist ihre Hoffnung: Wenn Kinder von klein auf Berührung mit behinderten Menschen haben, wird es für sie normal, dass es Kinder mit Behinderungen gibt - und diese werden nicht mehr „als Aliens“ wahrgenommen, wie sie sagt. Ein Beitrag dazu sollen ihre Materialboxen sein, die sie je nach Alter mit Comics, Romanen, Filmen oder Bilderbüchern und Spielsachen bestückt. Die Boxen würden beispielsweise gerne von Kitas ausgeliehen, wenn ein neues Integrationskind in die Gruppe komme, erzählt sie.

Inklusion zum Anfassen

Niethammer ist auch Vorsitzende des Vereins „Hölder - Initiative für Kultur und Inklusion“, der Lesungen zum Thema anbietet und unter dessen Dach sie seit drei Jahren die „Inklusion zum Anfassen“ verschickt. Für Niethammer bedeutet Inklusion nicht nur, dass ein Kind mit Behinderung die Regelschule besucht: „Inklusion ist letztlich einfach, dass die Gesellschaft als das gesehen wird, was sie ist: vielfältig und bunt.“

Dies soll auch durch die Bilderbücher klar werden, die sie mit in die Boxen legt. Die Literaturwissenschaftlerin ist Expertin auf dem Gebiet: „Ich kenne alle Inklusionsbücher auf dem deutschsprachigen Markt“, sagt sie mit einem Lachen. Eines ihrer Lieblinge ist das Bilderbuch von Constanze Kintzig: „Ich bin anders als du - ich bin wie du“, in dem man nicht nur ein Kind im Rollstuhl, sondern auch Kinder mit unterschiedlicher Hautfarbe oder Hörgeräten sieht. Das Besondere: Es wird nicht auf die Andersartigkeit der Behinderung oder Herkunft angespielt, sondern darauf, dass sich eine Freundin von der anderen unterscheidet, weil eine ein Einzelkind ist und die andere Geschwister hat, oder zwei unterschiedlich aussehende Jungs ihre Liebe zu Tieren als Gemeinsamkeit entdecken. So werde immer wieder mit vorschnellen Zuschreibungen gespielt.

Inklusive Bücher müssen aber nicht Behinderung thematisieren, sie können auch inklusiv gestaltet sein - mit Blindenschrift, Gebärdensprache oder mit Gerüchen für sehbehinderte Kinder. Oft kommen auch Kinder mit Behinderung ganz selbstverständlich in den Geschichten oder auf den Bildern vor. So ist Verena Niethammer stolz, dass ihr Sohn Mattis Einzug in ein Wimmelbuch gehalten hat. „Denn es sollte von vorneherein klar sein, dass ein Kind mit Behinderung keine andere Schublade von Mensch ist, sondern voll in die Mitte der Gesellschaft gehört.“

Der Gedanke ihrer Inklusionsboxen zieht Kreise: Angeregt von der „Syngap Elternhilfe“ - einer Initiative von Vätern und Müttern, deren Kinder vom genetisch bedingten Syngap-Syndrom betroffen sind - verleihen nun mehrere Vereine zu seltenen Erkrankungen ebenfalls Boxen, die auf das Thema Inklusion aufmerksam machen wollen. Niethammer freut sich, wenn ihre Idee auch von anderen aufgenommen wird, wie sie sagt.

Die Box ist fertig gepackt. Noch den Deckel drauf - und dann geht es für die Barbiepuppe Annika und den Sonden-Teddy auf Reisen.

Judith Kubitscheck