Frankfurt a.M., Mainaschaff (epd). Paul belegt sich sein Brötchen dick mit Schinken: Proviant für die anstehende Wanderung im Naturpark Spessart, etwa eine Dreiviertelstunde mit dem Auto von der Frankfurter Innenstadt entfernt. Der ältere Herr ist bestens ausgestattet: Mit braunem Filz-Wanderhut und robusten Schuhen. Niemand würde denken, dass Paul obdachlos ist.
Seit ungefähr 20 Jahren lebt der Mann in Frankfurt auf der Straße, wie er mit zittriger Stimme erzählt, aktuell bei einem Bekannten im Wohnwagen. Aber auch das nur auf Zeit. In ein paar Wochen muss er wieder raus. Es sei auch kalt gewesen im Winter. Bei den Worten blickt er beschämt auf den Boden, bohrt seinen Wanderstock verlegen in die Erde.
Der leidenschaftliche Pilz-Sammler ist fast jedes Mal dabei, wenn Peter Schmitt von der Caritas Frankfurt zum Wandern einlädt. Einmal im Monat können sich Obdachlose und andere bedürftige Menschen dafür anmelden. Auch Fahrradtouren und Klettertraining stehen regelmäßig auf dem Programm des Projekts „Mach mit!“.
Die Angebote sollen Menschen wie Paul ihren Alltag erleichtern: „Bei unseren Projekten geht es um Erfolgserlebnisse. Dass man etwas schaffen kann, wenn man sich dafür anstrengt“, erzählt Projektleiter Schmitt. Das hätten viele aus der Bahn geworfenen Menschen über die Jahre vergessen, weiß er aus seiner langjährigen Erfahrung bei der Caritas. „Auch eine Wohnung fliegt nicht auf mich zu“, erklärt der Wanderführer den Wohnungslosen häufig.
Angemeldet haben sich heute nicht nur Menschen ohne ein Dach über dem Kopf. Frührentnerin Anke etwa hat einen festen Wohnsitz. „Darüber bin ich auch sehr dankbar“, betont sie und stützt sich auf ihrem Stock auf. „Aber bei anderen Wandergruppen komme ich nicht hinterher.“ Sie sei nicht mehr gut zu Fuß und verliere schnell ihr Gleichgewicht, erzählt Anke. „Hier weiß ich, dass mir sofort geholfen wird.“ Die Frührentnerin freut sich schon Wochen vor dem Termin auf die Wanderung, wie sie strahlend erzählt.
Die heutige Wanderung führt die sieben Hobbywanderer gut zehn Kilometer durch den Wald. Die Ausrüstung können sich die Teilnehmenden bei der Caritas ausleihen. Peter Schmitt verteilt vor dem Start außerdem Getränke und Snacks. Auf der Hälfte der Route gibt es eine Pause.
„Für uns ist so eine Strecke kein Problem. Aber für die Menschen hier ist das ein großer Erfolg, wenn sie das schaffen“, erklärt der Journalist Klaus Hofmeister, der sich seit vielen Jahren ehrenamtlich für das Projekt engagiert und in seiner Freizeit gerne wandert und klettert.
„Was mich berührt sind tiefe Gespräche über Spiritualität. Zum Beispiel die Frage: Bin ich alleine oder bin ich nicht alleine?“, erzählt Hofmeister, während die Gruppe sich gerade für ein Erinnerungsfoto zusammenstellt. Einige Teilnehmenden hätten dem Journalisten auch schon von Gotteserfahrungen berichtet. Beim Wandern komme man viel eher ins Gespräch als an einem Tisch. Und, so seine Erfahrung: Die Menschen hätten weniger Hemmungen.
Das Zusammensein tut auch Ilaf gut. Der Mann kommt aus dem Irak und hat in Frankfurt einige Semester studiert. Dann kamen Geldsorgen. Er wurde depressiv, hatte sein Leben nicht mehr unter Kontrolle. „Ein Bruch“, wie der 50-Jährige sagt. „Ich hatte keinen geregelten Alltag mehr, musste Flaschen sammeln, um über die Runden zu kommen“, erzählt Ilaf. Einen festen Wohnsitz hat er nicht. Er habe bei den Touren schon viele gute Unterhaltungen geführt, sei froh darüber, Kontakte zu knüpfen. Der Teilnehmer von „Mach mit!“ resümiert: „Ohne das Projekt wäre ich wahrscheinlich wieder der Depression verfallen.“