sozial-Politik

Gesundheit

Elektronische Patientenakte: Lauterbach will Fortschritte sehen




Karl Lauterbach
epd-bild/Christian Ditsch
Befunde, Arztberichte oder Verschreibungen werden in Deutschland bisher nicht in elektronischen Patientenakten zusammengeführt. Auch die Nutzung der Daten für die Forschung kommt nicht voran. Der Gesundheitsminister will jetzt Druck machen. Es gibt Zustimmung, aber auch kritische Anmerkungen.

Berlin (epd). Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will den Stillstand bei der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) beenden. Er nannte am 9. März in Berlin kurzfristige Ziele: In zwei Jahren sollen 80 Prozent der Versicherten eine elektronische Akte haben. Bis zum Ende des Jahres 2025 sollen für die ePA-Nutzer, die Medikamente verschrieben bekommen, diese auch in der Akte eingetragen sein.

Lauterbach sagte, die Grundlagen für die Digitalisierung seien vor 20 Jahren gelegt, aber nicht umgesetzt worden. In der Ärzteschaft hätten viele das Projekt aufgegeben. „Dem wollen wir mit Druck begegnen“, betonte Lauterbach. In Hinblick auf die Patientinnen und Patienten sagte der Minister, er rechne nicht mit viel Widerstand. Die meisten Versicherten wollten eine elektronische Akte.

Anwendung soll bis Ende 2024 möglich sein

Die elektronische Patientenakte soll bis Ende 2024 für alle gesetzlich Versicherten startbereit sein. Sie wird automatisch angelegt, es sei denn, die Versicherten widersprechen. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sollen Befunde, Berichte oder Verschreibungen in der ePA einsehen können. Das bedeute „einen Sprung in der Verbesserung der Versorgung“, sagte Lauterbach. Inwieweit Patienten steuern können, welche Informationen sie für wen freigeben, wird dem Ministerium zufolge noch geklärt.

Lauterbach plant zwei Gesetze zur Beschleunigung der Digitalisierung, ein Digitalgesetz für die elektronische Patientenakte, E-Rezepte und Telemedizin sowie ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz, das den Zugang von Forschung und Industrie zu den Patientendaten und die Zusammenführung von anonymisierten Daten zu Forschungszwecken regeln soll. Bis 2026 sollen 300 Forschungsvorhaben mit Gesundheitsdaten realisiert werden.

Forschung braucht mehr Daten

Der Vorsitzende des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege, der Kölner Krebsforscher Michael Hallek, sagte, Deutschland sei wegen des Mangels an Gesundheitsdaten in der Krebsforschung weit zurückgefallen. Neue Erkenntnisse würden heute vor allem aus der Auswertung von Daten gewonnen. Hallek erinnerte daran, dass Deutschland sich in der Pandemie an Daten und Studien aus dem Ausland habe orientieren müssen.

Gesetzlich Versicherte können schon seit dem 1. Januar 2021 eine elektronische Patientenakte bei ihrer Krankenkasse beantragen und sie über eine App auch selbst verwalten. Laut Bundesgesundheitsministerium machen weniger als ein Prozent der Versicherten davon Gebrauch. Privatpatienten erhalten eine ePA seit Anfang 2022.

Kassenärzte bleiben kritisch

Während die Krankenkassen Lauterbachs Pläne begrüßten, äußerten sich die Kassenärzte kritisch. Die Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes der Krankenkassen, Doris Pfeiffer, erklärte, alle Akteure im Gesundheitswesen müssten die Chancen der Digitalisierung nutzen. Wichtig sei beispielsweise, die Ärzte zu verpflichten, die E-Akte auch zu befüllen. Der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sprach hingegen von „einer Art Zwangsbeglückung“. Es müsse unbedingt vermieden werden, dass die ePA unausgereift durchgesetzt werde und bei Ärzten und Patienten an Akzeptanz verliere.

„Die Deutsche Krankenhausgesellschaft unterstützt die Kernpunkte der Digitalisierungsstrategie des Bundesministeriums für Gesundheit ausdrücklich“, sagte Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß. Die Einführung einer Opt-Out-Lösung bei der elektronischen Patientenakte könne dazu beitragen, die Vorteile digital verfügbarer Dienste für die Versorgung greifbar zu machen. Die Belange des Daten- und Patientenschutzes müssen dabei genauso Berücksichtigung finden, wie der Anspruch der Versicherten, die medizinische Versorgung unter Nutzung vorhandener Gesundheitsdaten laufend zu verbessern.

AOK sieht „Generalschlüssel“ zu mehr Qualität

Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, betonte, die Digitalisierung sei der Generalschlüssel zu mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitsversorgung. „Und der Zentralschalter zur Beschleunigung heißt Opt-Out. Darin sind wir uns mit dem Gesundheitsminister einig.“ Der digitale Wandel, der von den Menschen in vielen Lebensbereichen immer stärker eingefordert werde, müsse auch endlich im Gesundheitswesen ankommen: „Medizinischer Fortschritt und Datenschutz dürfen hier keinen Widerspruch darstellen“, so Reimann. Die Techniker Krankenkasse, drang hingegen darauf, dass die E-Akte schnell kommt und einfach zu bedienen ist.

Die deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte die verpflichtende Einführung einer E-Akte im Grundsatz. Vorstand Eugen Brysch erklärte aber, die automatische Einführung der EPA für alle Patienten ohne deren Zustimmung sei ein „sehr schlechter Weg“, sagte Brysch im Interview mit dem Fernsehsender phoenix. „Der Umgang mit den Daten muss differenziert sein,“ forderte der Patientenschützer. Er sei für eine umfassende Aufklärung, damit alle Menschen mitgenommen würden, sowohl Patienten als auch Ärzte, die „die Bremser im Gesundheitssystem“ seien. Für ältere Menschen, die kein Smartphone oder Internet hätten, müsse es einmal im Jahr Papierausdrucke der Akte geben. „All dies muss nachgebessert werden“, verlangte der Vorstand.

Bettina Markmeyer, Dirk Baas