

Mit der dritten Stellungnahme der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung liegt die Grundlage für die von der Bundesregierung geplante große Krankenhausreform vor. Die Regierungskommission schlägt eine von Fallzahlen unabhängige Vorhaltefinanzierung verbunden mit einer Krankenhausplanung vor, die auf unterschiedlichen Versorgungsstufen und Leistungsgruppen basiert. Bis zum Sommer 2023 wollen das Bundesgesundheitsministerium, die Länder und die Fraktionen der Regierungskoalition die Vorschläge zu Eckpunkten weiterentwickeln. Daran anschließen soll sich der Gesetzgebungsprozess im Bundestag.
Im Vorschlag der Regierungskommission wird das Fallpauschalen-System nicht wie angekündigt abgeschafft. Vielmehr bleiben sie Teil eines Zwei-Säulen-Systems: 40 Prozent der Betriebskosten sollen durch Vorhaltepauschalen und 60 Prozent weiter über Fallpauschalen abgerechnet werden. Fraglich ist, ob dieses Modell das gesteckte Ziel erreicht, dass die Krankenhäuser ihre Fallzahlen nicht mehr steigern müssen, um die nicht refinanzierten Personalkosten oder Investitionen zu bezahlen. Solange zum Beispiel die Inflationskosten nicht ausgeglichen werden, gehen Finanzierungsexperten davon aus, dass sich das Hamsterrad noch schneller drehen muss, weil nur noch 60 Prozent der Erlöse zur Verfügung stehen. Völlig offen ist, wie die notwendigen Investitionen finanziert werden sollen, wenn Klinikstandorte zusammengelegt werden.
Motiviert sind die Reformbemühungen durch die aus Sicht der Reformkommission hohen Kosten im Gesundheitswesen, die weder politisch noch wirtschaftlich tragbar seien. Das Herzstück der Reform ist eine bundeseinheitliche Krankenhausplanung mit Versorgungsstufen und Leistungsgruppen. Sie sollen dazu führen, dass sich die vorhandenen Finanzmittel auf weniger Krankenhäuser verteilen.
Künftig sollen bundeseinheitlich Versorgungsstufen (Level) vorgegeben werden: Level-1-Krankenhäuser sind Krankenhäuser der Grundversorgung, Level-2-Krankenhäuser erbringen die Regel- und Schwerpunktversorgung und Level-3-Krankenhäuser übernehmen die Maximalversorgung. Für jeden Level werden Mindestanforderungen formuliert, die ein Krankenhaus erfüllen muss. Daneben werden 128 Leistungsgruppen bestimmt. Sie ersetzen die bisherigen Fachabteilungen (z.B. Innere Medizin) durch genauere Leistungsgruppen (z.B. Kardiologie) und legen fest, welche Leistungen ein Krankenhaus erbringen darf.
Die Leistungsgruppen werden darüber hinaus mit einer Versorgungsstufe verknüpft: Ein Krankenhaus darf nur die Leistungen erbringen, die seiner Versorgungsstufe zugeordnet sind. Dies gilt auch, wenn das Krankenhaus die Qualitätsanforderungen der Leistungsgruppe erreicht. Konkret wird beispielsweise festgelegt, dass eine Geburtsabteilung nur in einem Level-2-Haus vorhanden sein darf. Voraussetzung für die Eingruppierung in Level 2 ist das Vorhandensein einer Stroke Unit. Somit kann nur ein Krankenhaus, das eine Stroke Unit hat, auch eine Geburtsabteilung betreiben.
Diese Festlegung ist nicht durch eine medizinische Notwendigkeit begründet und würde zum Beispiel dazu führen, dass eine der größten Geburtsabteilungen in Nordrhein-Westfalen in der Kaiserwerther Diakonie schließen müsste. In der Region Aachen würden das Luisenhospital und das Marienhospital sowie die Krankenhäuser in Stolberg und Simmerath die Geburtshilfe abgeben. Dadurch müssten von den 5.000 Geburten im Einzugsbereich mehr als 4.000 zusätzliche an das Universitätsklinikum verlagert werden.
Eine Auswertung im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft zeigt, dass bundesweit von bisher 593 Standorten, die relevante Versorger in der Geburtshilfe sind, noch 227 Standorte verbleiben würden. Wenn die Kriterien der Regierungskommission streng angewendet werden, müssten sich 52 Prozent aller werdenden Mütter einen neuen Standort für die Geburt suchen. In anderen Fachgebieten gibt es ähnliche Ergebnisse: So müssten 56 Prozent der Patientinnen und Patienten in der interventionellen Kardiologie das Krankenhaus wechseln.
Gravierende Auswirkung hat auch der Vorschlag, dass ein Haus der Grundversorgung 30 Kilometer von einem Level-2- oder Level-3-Haus entfernt sein muss. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, dürfen nur noch die Leistungen eines integrierten Gesundheitszentrums erbracht werden. Rund die Hälfte der bisherigen Krankenhausstandorte würden dadurch zu integrierten ambulant-stationären Versorgungszentren (Level 1/integriert). Diese Einrichtungen sollen ganz aus der bisherigen Krankenhausfinanzierung herausgenommen werden und keine ärztliche Leitung mehr haben.
Die Strukturierung der Leistungsgruppen und ihre Zuordnung zu den Versorgungsstufen haben eine enorme Relevanz für die Versorgungslandschaft. Wird auch das Kleingedruckte im Kommissionsvorschlag berücksichtigt, ist die Gefahr deutlich, dass Krankenhäuser, die heute einen wesentlichen Teil der qualitativ hochwertigen Krankenversorgung leisten, aufgegeben werden, ohne dass die von der Strukturänderung gewollten Großkrankenhäuser die zusätzlichen Patienten versorgen können. Genau betrachtet verbirgt sich hinter den Vorschlägen der Regierungskommission eine deutliche Kapazitäts- und Standortreduktion. Diese wird definitiv zu längeren Wartezeiten führen und den Zugang der Patientinnen und Patienten zur Versorgung verschlechtern.
Bei den Zielen der Krankenhausreform besteht ein breiter Konsens: Es gilt den wirtschaftlichen Druck in den Krankenhäusern zu überwinden und die Patientenströme und -behandlung durch die abgestimmte Zuordnung von Versorgungsaufgaben zu verbessern. Die angekündigten Maßnahmen können aber als Nebenwirkung eine deutliche Verschlechterung der Patientenversorgung zur Folge haben.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat bei der Vorstellung der Reformvorschläge von einer Revolution gesprochen. Bleibt zu hoffen, dass die Beratungen der Bund-Länder-Kommission nicht bei der revolutionären Zerstörung der bestehenden Strukturen stehen bleiben, sondern den Umbau einer sehr differenzierten Krankenhauslandschaft gestalten. Die Pluralität einer gewachsenen und teilweise hochspezialisierten Krankenhauslandschaft kann in bundesweiten, starren Leveln nicht abgebildet werden. Auch kann aus der Größe eines Krankenhauses keine Versorgungsqualität abgeleitet werden. Vielmehr reicht in den Leistungsgruppen die Zahl der behandelten Patienten aus, um Rückschlüsse auf die Expertise zu ziehen.