sozial-Recht

Landessozialgericht

Volle Asylleistungen trotz passivem Widerstand gegen Abschiebung



Celle (epd). Auch nach passivem Widerstand gegen eine Abschiebung dürfen einem Flüchtling nicht ohne Weiteres Asylbewerberleistungen verwehrt werden. Scheitert die Abschiebung, weil der Flüchtling erklärt hat, dass diese gegen seinen Willen geschehe, hat er damit nicht „rechtsmissbräuchlich“ seinen Aufenthalt in Deutschland beeinflusst, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in einem am 6. Februar veröffentlichten Urteil. Gleiches gelte, wenn der Asylbewerber sich in ein offenes Kirchenasyl begeben habe, entschieden die Celler Richter.

Der aus dem Iran stammende Kläger war im Oktober 2015 über Kroatien nach Deutschland gereist. Sein Asylantrag wurde als unzulässig abgelehnt, da Kroatien sich für das Asylverfahren als zuständig erklärt hatte.

Kein richterlicher Beschluss

Als er am 25. Januar 2017 dorthin abgeschoben werden sollte, erklärte der Flüchtling gegenüber der Bundespolizei, dass er nicht fliegen werde. Da für eine Zwangsanwendung kein richterlicher Beschluss vorlag, wurde die Abschiebung abgebrochen.

Der Mann suchte schließlich Schutz in einem Kirchenasyl. Dabei hatte die Kirchengemeinde den zuständigen Ausländerbehörden den Aufenthaltsort des Flüchtlings mitgeteilt. Da die deutschen Behörden den Mann nicht fristgemäß nach Kroatien überstellen konnten, wurde Deutschland für den Mann zuständig. Er erhielt eine Duldung.

Beim Landkreis beantragte er schließlich höhere Asylbewerberleistungen auf Sozialhilfeniveau. Diese können Flüchtlinge nach einer Wartezeit von 18 Monaten beanspruchen, vorausgesetzt, sie haben die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland nicht „rechtsmissbräuchlich“ beeinflusst. Bis August 2019 galt - wie im Streitfall - noch eine Wartezeit von 15 Monaten.

Leistungen auf dem Niveau der Sozialhilfe

Der Landkreis lehnte höhere Sozialleistungen ab. Mit dem passiven Widerstand gegen seine Abschiebung habe er seinen Aufenthalt „rechtsmissbräuchlich“ verlängert. Gleiches gelte mit der Flucht ins offene Kirchenasyl.

Doch das LSG sprach dem Kläger Sozialleistungen auf dem Niveau der Sozialhilfe zu. Allein passives Verhalten und die wahrheitsgemäße Erklärung, nicht ausreisen zu wollen, sei nicht rechtsmissbräuchlich. Anders verhalte es sich, wenn er sich aktiv der Abschiebung entziehe.

Auch das offene Kirchenasyl stelle keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthalts dar. Die Behörden hätten ja, anders als bei einem Untertauchen, gewusst, wo sich der Flüchtling aufhält. Sie hätten wegen des Kirchenasyls auf eine Abschiebung verzichtet.

Az.: L 8 AY 55/21