sozial-Branche

Wohnungsbau

Interview

Diakonie-Vorstand: Bayerns Bilanz ist eine Katastrophe




Andreas Dexheimer
epd-bild/Diakonie Rosenheim
Bayerns Leistungsbilanz beim Wohnungsneubau fällt ernüchternd aus. Nur wenige Hundert werden es aktuell sein, trotz anderslautender Zusagen der Landespolitik. Der Rosenheimer Diakonie-Vorstand Andreas Dexheimer übt im epd-Interview scharfe Kritik.

Rosenheim (epd). Im Jahr 2018 hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Bau von 10.000 neuen Wohnungen durch den Freistaat angekündigt - nun werden bis Ende 2024 wohl nur um die 700 gebaut werden. Andreas Dexheimer, Vorstand der Rosenheimer Diakonie erläutert im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), weshalb das für viele Menschen eine Katastrophe ist, und er sagt, was die Politik jetzt tun muss. Die Fragen stellte Larissa Launhardt.

epd sozial: Herr Dexheimer, wie akut erleben Sie Wohnungsnot in Bayern?

Andreas Dexheimer: Wir sind als Diakonie Rosenheim im gesamten südbayerischen Raum aktiv und Wohnungsnot ist das zentrale Problem in dieser Region. Es überlagert alles andere, es ist das soziale Problem Nummer eins.

epd: Wo begegnet Ihnen das Problem im Alltag?

Dexheimer: Wir erleben Wohnungsnot als Diakonie an zwei Stellen. Zum einen gibt es wahnsinnig viele Menschen, die wir in irgendeiner Art betreuen, die nicht mehr in der Lage sind, adäquaten Wohnraum zu finden. Die stehen zum Teil Jahrzehnte auf Listen von Sozialwohnungen, die leben verzweifelt in desolaten Wohnsituationen und finden einfach keinen bezahlbaren Wohnraum. Das ist sozusagen die Seite „Klientel“.

epd: Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Dexheimer: Sozialer Wohnungsbau soll sicherstellen, dass jeder Mensch angemessenen Wohnraum findet und es, wenn das eigene Einkommen nicht mehr ausreicht, geförderte Wohnungen gibt. Ich kenne ein Pärchen, das in einer kleinen Zweizimmerwohnung wohnt. Er ist Handwerker, sie arbeitet in der Verwaltung, gemeinsam haben sie ein Kind. Ihr Einkommen ist gut, durchschnittlich. Die Eltern wünschen sich ein weiteres Kind, aber die Wohnung ist so eng, dass dafür einfach kein Raum ist. Sie sind in Not, haben keine Chance auf ein zweites Kind, weil sie keine größere Wohnung bekommen. Klar, diese Familie ist nicht obdachlos, aber sie hat viel zu wenig Platz und daran scheitert ihre Familienplanung. Das große soziale Problem besteht in der Mittelschicht.

epd: Sie sprachen von zwei Stellen, an denen Sie als Diakonie Wohnungsnot erleben...

Dexheimer: Genau, wir haben das gleiche Problem auch auf Seiten unserer Mitarbeitenden. Alle in den unteren und mittleren Einkommensbereichen - und es ist eben gerade auch die Mitte und nicht nur der untere Teil - haben Probleme bei der Wohnungsfindung. Typischerweise sind das Kinderpflegerinnen, Erzieherinnen, Altenpfleger, Sozialarbeiter. Wir haben Fachkräftemangel, wir haben freie Stellen und wir schaffen es nicht mehr, Menschen von außerhalb in die Metropolregionen zu kriegen, weil diese schlicht keinen Wohnraum finden.

epd: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat 2018 versprochen, 10.000 neue Wohnungen für Bayern zu bauen - nach jetzigem Stand werden es bis Ende 2024 wohl lediglich knapp 700 sein. Wie dramatisch ist das?

Dexheimer: Das ist einfach eine Katastrophe. Es ist eine Katastrophe für Menschen, die keinen Wohnraum finden und es ist eine Katastrophe für Arbeitgeber, die aufgrund des fehlenden Wohnraums keine Mitarbeiter finden. Und es ist ja nicht nur, dass Söders Versprechen völlig hohl läuft. Es ist generell das Thema sozialer Wohnbau und mehr Wohnraum schaffen. Es passiert an keiner Stelle strukturell irgendetwas Neues oder etwas, das wirklich signifikant mehr Wohnraum bringt. Und man muss auch dazu sagen: 10.000 Wohnungen wären auch immer noch viel zu wenig, um das Problem zu lösen. Wir brauchen massiv mehr. Es wäre also ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen - und letztliches war es ein hohles Wahlversprechen.

epd: Sind Sie enttäuscht von der Politik?

Dexheimer: Es fehlt der politische Wille, das Problem zu priorisieren und zu sagen: Wir müssen mit Nachdruck viel Wohnraum schaffen. Und es liegt auch an den extrem langen Verwaltungsverfahren. Das ist definitiv eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Da ist momentan für mich keinerlei Hoffnungszeichen erkennbar. Und es ist auch nicht an irgendeiner Stelle erkennbar, dass systematisch signifikant mehr Wohnraum im unteren oder mittleren Preissegment gebaut wird. Man redet darüber, mehr ist es nicht.

epd: Was erwarten Sie jetzt von der Politik?

Dexheimer: Dass sie Flächen zur Verfügung stellt, Verfahren beschleunigt und signifikante finanzielle Zuschüsse gibt. Es bräuchte Sonderregeln und eine großzügige Auslegung des Baurechts für sozialen Wohnungsbau und die Ermöglichung von kostengünstigem Bauen. Das heißt, ich muss mit dem Gebäude höher gehen können, ich muss weniger Abstandsflächen und Stellplätze haben dürfen und so weiter. Das kann Politik gestalten.