Hamburg (epd). Eigentlich lief alles gut. Christian Gutschke arbeitete als Lagerfacharbeiter und hatte einen unbefristeten Arbeitsvertrag in Aussicht. Doch dann kamen gesundheitliche Probleme, er wurde arbeitslos, machte immer mehr Schulden. Im vergangenen Jahr zog der 57-jährige Hamburger die Notbremse und meldete Privatinsolvenz an - wie Tausende andere auch.
Der Firmendatenspezialist Creditreform registrierte 2022 bundesweit 65.300 Anträge auf Privatinsolvenz. Katharina Preuß von der Schuldnerberatung der Hamburger Diakonie erwartet in den kommenden Monaten einen Ansturm von Betroffenen. Immer mehr Menschen lebten wegen steigender Lebenshaltungskosten finanziell am Limit, sagt sie. „Und in den nächsten Wochen kommen noch die Energierechnungen und Betriebskostenabrechnungen dazu.“
Christian Gutschke hat lange mit sich gerungen, bis er zur Schuldnerberatung der Hamburger Diakonie ging. „Ich bin ein zuverlässiger Mensch und wollte alle Schulden zurückzahlen“, sagt der Hamburger. Er hatte einen Kredit aufgenommen, weil Motorrad, Roller und Auto repariert werden mussten. „Das war ja kein Problem, als ich Arbeit hatte.“ Nach einer Hüft-Operation wollte er mit einem unbefristeten Vertrag durchstarten, doch plötzlich streikte sein Rücken. An einen Job war nicht mehr zu denken.
Regelmäßig überzog er sein Konto, glich rund 150 Euro im Monat mit Kreditkarten aus. „Das lief ein paar Jahre wunderbar“, erinnert er sich. Das Minus auf dem Konto wuchs, sein Rücken wurde nicht besser. „Ich hätte mich früher kümmern müssen“, sagt er heute und verschränkt die Arme vor seiner Brust. Irgendwann rechnete er alles genau durch, sein letzter Schuldenstand waren 11.500 Euro brutto.
Im Juni 2022 ging er das erste Mal „mit Bauchgrummeln“ zur Schuldnerberatung. Gutschke: „Ich habe mich immer gefragt, ob ich es nicht doch noch hinbekomme.“ Ihm fiel es anfangs schwer, seiner Familie und Freunden von der Privatinsolvenz zu erzählen. Beraterin Preuß kennt das: „Viele Menschen leben jahrelang mit ihren Schulden. Das Wort Insolvenz macht erst mal Angst.“
Preuß unterstützt Betroffene dabei, ihre Finanzen zu sortieren und stößt regelmäßig auf zu teure Handyverträge oder Abos für nie besuchte Fitnessstudios. Sie sucht den Kontakt zu den Gläubigern, informiert Bürgergeld-Empfänger über Zuschüsse und hilft in akuten Notlagen, wenn Stromsperren drohen. Am Ende stehe oft der Antrag auf eine Privatinsolvenz, auch Verbraucherinsolvenzverfahren genannt.
Für viele sei das der „Weg in die Freiheit“, sagt Preuß. Für alle, die nicht selbstständig und zahlungsunfähig sind, ist diese gerichtliche Schuldenregulierung die gängigste Methode, um aus der Schuldenfalle zu kommen. Nach der Eröffnung des Verfahrens durch das Gericht dürfen Gläubiger nicht mehr gegen Betroffene vorgehen. Mit dem Einkommen, das über der Pfändungsgrenze liegt, müssen Schulden getilgt werden. Gutschke bekommt Bürgergeld und liegt damit unter dieser Grenze. Insgesamt dauert das Verfahren drei Jahre, danach werden Betroffene von ihrer Restschuld befreit.
Bis Gutschkes Schulden gelöscht werden, dauert es noch zweieinhalb Jahre. „Das passt schon, ich bin genügsam“, sagt er. Er ist kein Typ, der jammert. Fernsehen lenkt ihn ab, Kino braucht er nicht, im Urlaub war er schon lange nicht mehr. Einfacher wird sein Leben bei den steigenden Preisen nicht. „Nudeln kosteten früher 49 Cent, heute sind es 99.“ Im vergangenen Sommer war er mal bei der Tafel, da geht er aber nicht mehr hin. „Es gibt so viele Menschen, die es nötiger haben als ich.“
Was er machen will, wenn er schuldenfrei ist? „Ich hoffe, dass ich wieder arbeiten kann“, sagt Gutschke. Vielleicht könne er mal in ein Konzert gehen. Und einen Traum hat er noch: „Ich möchte so gerne mal eine Motorrad-Rundfahrt durch das schöne Frankreich machen.“