sozial-Branche

Telefonseelsorge

Viel los bei der "Nummer gegen Kummer"




Ehrenamtliche Helferin der Telefonseelsorge (Archivbild)
epd-bild/Thomas Tjiang
Corona, Kriegsängste und steigende Preise: Seit Jahren bekommt die Telefonseelsorge die Auswirkungen von zahlreichen Krisen zu spüren. Zuletzt gingen deutliche mehr Anrufe ein als vor der Pandemie. Und auch die Kriegsangst wächst.

Magdeburg (epd). Ob Einsamkeit, finanzielle Nöte, Liebeskummer oder andere persönliche Probleme: Die rund 80 Ehrenamtlichen der Magdeburger Telefonseelsorge hören ihren Anrufern seit 30 Jahren zu. Und wenn in diesen Tagen für neun Interessenten ein neuer Ausbildungskurs beginnt, dann bereiten diese sich auf einen Dienst in bewegten Zeiten vor. Erst Corona, dann der Ukraine-Krieg, Unsicherheiten durch steigende Energie- und Lebensmittelpreise: Auch die Telefonseelsorge hat die Krisen der letzten Jahre zu spüren bekommen.

„In Corona-Zeiten haben die Anrufe immer während der Lockdowns zugenommen“, sagt Pfarrerin Anette Carstens. Seit sieben Jahren leitet sie die Magdeburger Telefonseelsorge, zuvor hat sie unter anderem als Klinikpfarrerin gearbeitet. Auch in den letzten Monaten hätten die Telefone wieder häufiger geklingelt, sagt sie. Mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges und den steigenden Energiepreisen seien die Anruferzahlen vorübergehend wieder hochgeschnellt.

Bei aller Empathie ist Abgrenzung nötig

Beate Seibert, die seit sechs Jahren als ehrenamtliche Seelsorgerin mit dabei ist, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Kürzlich habe ein Mann angerufen, der in großer Sorge wegen der gestiegenen Preise sei. Er sei im Vorruhestand und könne nun, obwohl er sein Leben lang gearbeitet habe, das Heizöl nicht mehr bezahlen.

Für die ehrenamtlichen Seelsorger am Telefon ist das nach Carstens' Einschätzung eine besondere Herausforderung. „Jetzt kommen Probleme am Telefon zur Sprache, die uns alle betreffen“, berichtet sie. Seelsorger müssten sich bei aller nötigen Empathie auch stark abgrenzen können: „Ich kann nur hilfreich sein, wenn ich nicht mit im Boot bin.“ Doch das sei bei Fragen der Energiekrise, die alle beträfen, kaum möglich.

Einsamkeit das Top-Thema während Corona

Während der Corona-Jahre sei vor allem das Thema Einsamkeit dominant gewesen, berichtet Seibert. Sie erinnert sich an eine Doppelschicht von acht Stunden am Telefon: „Da hatte ich zwölf Anrufe, neun davon drehten sich um das Thema Einsamkeit.“ Viele hätten sich in dieser Zeit zurückgezogen, seien arbeitslos geworden oder ins Rentenalter gekommen: „Sie wurden auf der Strecke vergessen.“

Vor sechs Jahren begann Seibert mit der Ausbildung zur Telefonseelsorgerin. „Als Betriebswirtin war mein Beraterherz immer schon da“, sagt sie über ihre Motivation. Hinzu kam ihr kirchliches Engagement. Durch ihren Einsatz in einer evangelischen Gemeinde sei es für sie die logische Konsequenz gewesen, auch seelsorgerisch tätig zu sein und ein Stück ihrer eigenen Lebenserfahrung weiterzugeben.

„Man kann am Telefon nicht missionieren“

Die Telefonseelsorge wird in Magdeburg in ökumenischer Zusammenarbeit vom Evangelischen Kirchenkreis und dem katholischen Bistum getragen. Das könne in einem zunehmend atheistisch geprägten Umfeld hilfreich sein, meint Seibert. „Wenn ich am Telefon sage, dass ich Christ bin, nimmt das Gespräch eine Wendung“, sagt die ehrenamtliche Seelsorgerin. Auch die Pfarrerin Carstens erlebt ähnliche Reaktionen: „Da ist plötzlich eine andere Tiefe. Man kann nicht am Telefon missionieren, aber man kann fragen, ob es etwas gibt, das ihnen Kraft gibt.“

Auch ohne religiösen Bezug fühlten sich viele Menschen gestärkt durch die Gespräche, die im Durchschnitt 30 bis 45 Minuten dauerten, beobachtet Seibert. „Am Ende muss der Anrufer wenigstens einmal gelacht haben. Und das bekommt man meistens hin.“

Oliver Gierens