Potsdam (epd). In Deutschland lebende Flüchtlingskinder sind bei Unkenntnis über den regelmäßigen Aufenthalt ihrer im Ausland lebenden Eltern beim Kindergeld wie Waisen zu behandeln. Auch wenn sie sporadisch mit den auf der Flucht befindlichen Eltern telefonieren, haben sie nicht zwingend Kenntnis vom jeweiligen Aufenthaltsort und steht ihnen Kindergeld zu, entschied das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg in einem am 23. Januar veröffentlichten Urteil. Die Potsdamer Richter ließen die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zu.
Nach dem Bundeskindergeldgesetz erhalten normalerweise die Eltern das Kindergeld. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Kind auch für sich selbst Kindergeld beanspruchen. Das gilt etwa, wenn es seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, es Vollwaise ist oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennt.
Im Streitfall wurde dem aus Syrien stammenden, mittlerweile volljährigen Kläger subsidiärer Schutz in Deutschland gewährt. Sein Vater ist grstorben, die noch in Syrien lebende krebskranke Mutter ist angesichts des Bürgerkrieges ständig auf der Flucht und wechselt alle paar Monate ihren Aufenthaltsort. Der Kläger verfügt mittlerweile über eine Aufenthaltserlaubnis, absolviert eine Berufsausbildung und bezieht Bafög-Leistungen.
Bei der Kindergeldkasse hatte er erfolglos für sich die Zahlung von Kindergeld beantragt. Zwar könne ein Kind Kindergeld erhalten, wenn es den Aufenthalt seiner Eltern nicht kenne, befand die Behörde. Hier telefoniere der Kläger aber zwei- oder dreimal im Monat mit seiner in Syrien lebenden Mutter. Ihr Aufenthaltsort sei ihm damit also bekannt. Dem widersprach der Kläger. Seine Mutter sei angesichts des Bürgerkrieges ständig auf der Flucht. Über eine feste Adresse verfüge sie nicht.
Das OVG sprach dem Kläger für den Zeitraum von September 2018 bis Juni 2019 Kindergeld zu. Ein Kind habe nicht schon dann Kenntnis vom Aufenthalt der Eltern, wenn es weiß, dass sich „irgendwo auf der Welt“ zumindest ein Elternteil aufhält, mit dem es in sporadischen Kontakt steht. Der Kläger sei vielmehr einem Vollwaisen gleichzustellen, weil der Aufenthaltsort der Mutter wegen der Flucht ständig ändere. Ihm stehe daher das Kindergeld zu.
Az.: L 4 KG 1/20