sozial-Recht

Europäischer Gerichtshof

Sprachtesthürden beim Familiennachzug




Lernheft eines Deutschkurses für Flüchtlinge
epd-bild/Christian Ditsch
Zuwanderer können mit dem Nachweis einfacher Sprachkenntnisse leichter integriert werden. Allerdings darf für den Familiennachzug eines türkischen Ehepartners nicht pauschal ein Sprachtest des in der EU lebenden türkischen Ehegattens verlangt werden, urteilte der Europäische Gerichtshof.

Luxemburg (epd). Ein in einem EU-Mitgliedstaat lebender türkischer Arbeitnehmer muss für den Nachzug seiner in der Türkei lebenden Ehefrau zuvor keinen Sprachtest bestehen. Denn die erfolgreiche Integration der Ehefrau werde nicht dadurch gewährleistet, dass der nachholende Arbeitnehmer einen Sprachtest absolviert, stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem am 22. Dezember 2022 verkündeten Urteil klar. Ein pauschal verlangter Sprachnachweis verletze das zwischen der EU und der Türkei geschlossene Assoziierungsabkommen, befanden die Luxemburger Richter zu bestehenden Regelungen in Dänemark.

Konkret ging es um einen Türken, der seit 1979 in Dänemark lebt und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt. Sowohl seine vier erwachsenen Kinder, seine Mutter als auch seine Geschwister leben bereits im Land. Seine türkische Ehefrau reiste erst 2015 nach Dänemark ein und beantragte bei der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung.

Dänemark kennt keine Ausnahmen von Pflicht zum Sprachtest

Doch die Behörde lehnte ab. Zwar habe der Ehemann seine Ausbildung in dänischer Sprache absolviert und sei unter anderem als Maschinenbautechniker oder Lagerleiter tätig gewesen. Nach dänischem Recht müsse er aber eine Sprachprüfung erfolgreich ablegen, damit der Ehefrau eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung erteilt werden könne. Das sei nicht geschehen, so die Behörde.

Die Frau sah darin einen Verstoß gegen EU-Recht und verwies darauf, dass das zwischen der EU und der Türkei geschlossene Assoziierungsabkommen eine sogenannte Stillhalteklausel vorsehe. Die legt fest, dass ab 1973 keine weiteren Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit für in den EU-Mitgliedstaaten lebende Türken eingeführt werden dürfen. Das Erfordernis des Sprachtests für ihren Ehemann stelle aber eine neue Einschränkung dar, argumentierte die Klägerin.

Gericht hält Regelung für EU-rechtswidrig

Dem stimmte der EuGH zu und erklärte die dänische Regelung für EU-rechtswidrig. Dass von dem Arbeitnehmer ein bestandener Sprachtest verlangt werde, könne das Ziel einer erfolgreichen Integration des nachziehenden Ehegatten nicht gewährleisten. Danach wäre eine Familienzusammenführung selbst dann ausgeschlossen, wenn die nachziehende Ehefrau perfekt dänisch spricht, ihr Mann aber den Sprachtest nicht abgelegt hat.

Sprachtests zur Familienzusammenführung könnten nur verlangt werden, wenn ein „zwingender Grund des Allgemeininteresses“ vorliege. Solch ein Grund könne das Ziel einer erfolgreichen Integration des Familienangehörigen sein. Die dänische Regelung berücksichtige allerdings gar nicht die eigene Integrationsfähigkeit des Familienangehörigen, sondern stelle allein auf den Arbeitnehmer ab. Dass der Ehemann längst in Dänemark integriert sei, sei ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Härtefall oder Ausnahmen von der Vorlage eines Sprachnachweises gebe es im Land ebenfalls nicht.

Deutschland agiert liberaler

Die deutschen Regelungen verlangen für eine Familienzusammenführung von Ausländern nicht pauschal den Nachweis über einfache Deutschkenntnisse. So wird auf den Sprachnachweis in der Regel verzichtet, wenn der Spracherwerb im Ausland nicht möglich oder unzumutbar ist oder eine Erkrankung das Lernen der Sprache unmöglich macht. Bei nachziehenden Ehegatten von Asylberechtigten wird ebenfalls auf einen Sprachtest verzichtet, wenn diese bereits vor der Einreise des Partners in ihrem Heimatland verheiratet waren.

Allerdings dürfen deutsche Behörden nach einem Urteil des EuGH vom 7. August 2018 bei einem Familiennachzug von türkischen Staatsangehörigen für die Einreise nach Deutschland durchaus ein Visum verlangen. Die Visumpflicht verstoße nicht gegen EU-Recht und das zwischen der EU und der Türkei geschlossene Assoziierungsabkommen, wenn diese „aus Gründen der effektiven Einwanderungskontrolle und der Steuerung der Migrationsströme gerechtfertigt“ ist. In Härtefällen müsse auf die Visumpflicht unter Umständen aber verzichtet werden, so die Luxemburger Richter auf die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig.

Visa wegen fehlender Sprachkenntnisse abgelehnt

Im Streitfall hatten die deutschen Behörden die Visum-Anträge einer Türkin wegen fehlender ausreichender Deutschkenntnisse abgelehnt. Ohne Erfolg machte sie geltend, dass sie Analphabetin sei und auch wegen ihres Gesundheitszustandes die Hilfe ihres in Deutschland lebenden Mannes benötige.

Das erneut mit dem Fall befasste Bundesverwaltungsgericht verwies das Verfahren mit Urteil vom 25. Juni 2019 an das Verwaltungsgericht Stuttgart zurück. Zwar sei die Visumpflicht für nachziehende türkische Ehegatten nicht zu beanstanden, so die Leipziger Richter unter Verweis auf die EuGH-Entscheidung. Es müsse aber noch geprüft werden, ob die Klägerin wegen ihres Analphabetismus und ihrer gesundheitlichen Probleme von der Vorlage des Sprachnachweises befreit werden muss. Es fehle an Feststellungen, ob die Wiederholung des Visumsverfahrens wegen besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar ist.

Dass, abgesehen von Härte- und besonderen Einzelfällen, der Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse verlangt werden darf, hatte jedoch bereits auch das Bundesverfassungsgericht am 25. März 2011 entschieden.

Es sei nicht unverhältnismäßig, dass beim Ehegattennachzug einfache deutsche Sprachkenntnisse verlangt werden. Der Gesetzgeber habe hier einen weiten Gestaltungsspielraum. Selbst wenn die betroffenen Ausländer mit Hilfe eines Kurses nur rudimentäre Sprachkenntnisse erlangen, stelle das einen „ersten Beitrag zur erwünschten Integration in Deutschland dar“, so das Bundesverfassungsgericht.

Az.: C-279/21 (Europäischer Gerichtshof Sprachtest Dänemark)

Az.: C-123/17 (Europäischer Gerichtshof Visumpflicht Deutschland)

Az.: 1 C 40.18 (Bundesverwaltungsgericht)

Az.: 2 BvR 1413/10 (Bundesverfassungsgericht)

Frank Leth