München (epd). Der Diakonie Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ist bewusst: Es braucht Innovationen in der Altenhilfe, die sich positiv auf die Arbeitsbedingungen auswirken, um den Pflegesektor zu stärken. Springerkonzepte beim Personaleinsatz können hier ein wichtiger Baustein sein.
Hohe Ausfallzeiten, unsichere Dienstpläne, ständiges Einspringen - Alltag in der Pflege, und das nicht erst seit dem Ausbruch der Coronapandemie. Aus diesen ungünstigen Arbeitsbedingungen verbunden mit stetig steigenden Anforderungen, resultieren erschöpfte und frustrierte Pflegekräfte, die den Beruf verlassen etwa nach einer Elternzeit nicht wieder zurückkehren. Die geringe Attraktivität des Pflegeberufs spiegelt sich auch in den niedrigen Auszubildendenzahlen wider. Um diese Abwärtsspirale zu durchbrechen und Entlastung zu schaffen, haben die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Bayern und die Diakonie Bayern über drei Jahre Springerkonzepte in der stationären und ambulanten Altenpflege in Bayern umgesetzt und wurden von der Evangelischen Hochschule Nürnberg evaluiert.
Von 2019 bis 2022 haben die Partner innovative Konzepte für eine zukunftsfähige Altenhilfe gefördert, die das Potenzial entfalten, die Arbeitsbedingungen nachhaltig und grundlegend zu verbessern. Mit einem Fördervolumen von etwa 1,5 Millionen Euro wurden elf Projekte in Einrichtungen und Diensten gefördert. Die lokalen Teams haben Springerkonzepte entlang ihres spezifischen Bedarfes entwickelt und vor Ort erprobt.
Über die Projektförderung war es möglich, pro Einrichtung oder Dienst eine zusätzliche Pflegefachkraftstelle bis zu einem Vollzeitäquivalent zu finanzieren. Final wurden drei handhabbare Konzepte extrahiert: Springerpools, Springerkräfte und Springerdienste. Wichtig dabei war, Konzepte zu etablieren, die angepasst an die individuellen Bedingungen der Einrichtungen und Dienste sind und die vor Ort von Pflegekräften entwickelt wurden.
Die Mitarbeitenden wurden in einer Vorher-Nachher-Untersuchung zu den Veränderungen im Projektverlauf bei Dienstplangestaltung, Arbeitsorganisation, Arbeitsbelastung, Team, Leitung und in der persönlichen Situation befragt. Alle Items befinden sich auf einem hohen, zufriedenstellenden Niveau zwischen 1,6 und 2,8 auf einer sechsstufigen Bewertungsskala. Manche mit leicht positiver Entwicklung, manche allerdings auch mit einer leicht negativen Tendenz. Diese moderaten Mittelwertveränderungen sind vor dem Hintergrund des Megatrends Corona deutlich positiver ausgefallen als erwartet.
Auffällig war allerdings: Die Einbindung von Mitarbeitenden bei neuen Ideen wurde im Projektverlauf tendenziell schlechter bewertet, wäre dies doch gerade bei Modellprojekten besonders wünschenswert.
Besonders die trotz der Corona-Pandemie gemessenen Verbesserungen können als außergewöhnlich positiv interpretiert werden, etwa bei der Dienstplangestaltung, wo es um die Berücksichtigung von Wünschen und um die Vereinbarkeit Beruf und Familie ging. Auch die Arbeitsbelastung hat sich - trotz Corona - leicht verbessert.
Konstant geblieben sind die Bewertungen zur Situation im Team wie etwa „Im Team fühle ich mich wohl.“ (1,7) oder „Die Zusammenarbeit mit meinen Kolleg:innen ist gut.“ (1,8). Auch das ist vor dem Hintergrund der Coronasituation äußerst erfreulich, zeigen doch Befunde aus anderen Studien zum gleichen Zeitraum ein völlig anderes Bild.
Auch die stabile Situation mit nur minimalen Rückgängen bei der Wahrnehmung der persönlichen Situation („Ich fühle mich gesund.“; „Ich finde genügend Ausgleich zur beruflichen Tätigkeit.“; „Ich habe einen guten Schlaf.“) sowie bei der Bewertung der Leitung (Gefühl fairer und gerechter Behandlung, Austausch mit den Mitarbeitenden und zuverlässige Information über Veränderungen) bestätigen mit Mittelwerten um die 2,0 diesen durchweg positiven Trend.
„Leitungshandeln und Teamentwicklung“ waren die wichtigsten Lernbereiche, vor allem bezogen auf mehr Zuverlässigkeit und Planbarkeit für Mitarbeitende, auf verlässliche Ruhe- und Erholungsphasen sowie Arbeitsentlastung im Dienst und auf eine bessere einrichtungsinterne Kommunikation. Den größten Projekterfolg sehen Verantwortliche und den Mitarbeitende übereinstimmend in der Entlastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitenden. Die wichtigsten Lehren aus den Projekten? Verbesserungen der Arbeitsorganisation und eine flexible und für Neues offene Personalentwicklung. Springerprojekte entlasten also nicht nur, sondern steigern die Attraktivität des Arbeitgebers. Sie sind ein zentraler Pull-Faktor für Bewerber:innen, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels.
Pflegende arbeiten im Vergleich zu anderen Berufsgruppen durchschnittlich häufiger zu atypischen Zeiten, haben weniger Möglichkeiten, die Arbeitszeit nach ihren Bedürfnissen und Lebenssituationen flexibel zu gestalten und Erholungszeiten sind nicht immer garantiert. Die Projekten haben hier angesetzt: neue Arbeitsstrukturen wurden geschaffen, die auf mehreren Ebenen Wirkung entfaltet haben.
1. Bindungsfaktoren: Den Beschäftigten wird ein zeitnaher Abbau von Mehrarbeitsstunden und Freizeitausgleich sowie ein verlässlicher Dienstplan ermöglicht. Durch die Entlastungen im Arbeitsalltag und gesicherte Erholungszeiten ist zudem ein gesunder Übergang in den Ruhestand möglich. In einer überalterten Branche wie der Pflege ist dies ebenfalls höchst relevant. Langfristig ist es essenziell Arbeitsbedingungen zu verändern, innovative Arbeitszeitmodelle anzubieten, Sicherheit und Planbarkeit zu garantieren.
2. Gewinnungsfaktoren: Vielfältige Arbeitszeitkonzepte ermöglichen einen niedrigschwelligen Wiedereinstieg in die Pflege, damit können sogenannte „stille Reserven“ wie Menschen in Elternzeit, Alleinerziehende und pflegende Angehörige akquiriert werden, die ohne eine flexible Arbeitszeitgestaltung der Pflegebranche den Rücken kehren würden und nicht mehr einsteigen. In Bewerbungsgesprächen ist der sichere Dienstplan ein wichtiger Entscheidungsfaktor. Mitarbeitende aus neu geschaffenen Springerpools gingen im Laufe der Projektzeit in den festen Mitarbeitendenstamm über.
Trotz Personalmangel und unkontrollierbarem Infektionsgeschehen wurde deutlich, dass Organisationsveränderungen über Projekte möglich sind. Ein kontinuierlicher Veränderungsprozess ist unerlässlich - auch in der Pflege. Die Evangelische Landeskirche Bayern wird daher, gemeinsam mit der Diakonie Bayern, die bisherigen Erfolge weiterentwickeln und über das „Zentrum für Innovationen in der Altenhilfe“ Ideen fördern, die die Arbeitsbedingungen in der Pflege zukunftsfähig gestalten und stark machen.
Wichtig dabei: vernetzt denken und strategisch handeln. Daher hat die Diakonie zudem - mit Unterstützung aus Mitteln der Glücksspirale - das Projekt „Personal im Mittelpunkt“ aufgesetzt und betrachtet Innovationen auch als Strategie Fachkräfte zu gewinnen und attraktive Arbeitsplätze zu schaffen.