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Flüchtlinge

"Alles, was wir haben, ist da drüben"




Ukrainische Familie im Kloster Marienwerder
epd-bild/Stefan Heinze
Rund 1,1 Millionen Ukrainer sind bisher vor russischen Bomben nach Deutschland geflüchtet. Zu Weihnachten bangen sie um ihre Angehörigen, die trotz Kälte in der Heimat ausharren. Einige Familien haben Zuflucht in einem Kloster in Hannover gefunden.

Hannover (epd). Den Weihnachtsbaum hat sie schon Anfang Dezember aufgestellt. „Nur einen kleinen“, sagt Anastasya Murieieva und deutet auf das Tannenbäumchen auf dem Flur ihrer Wohnung im Kloster Marienwerder bei Hannover. Auf einem Tisch leuchtet er mit elektrischen Lichtern und silbernen Kugeln, drapiert auf einem Tuch in Blau und Gelb, den Farben ihrer Heimat, der Ukraine. Früher habe sie Weihnachten nach christlich-orthodoxer Tradition am 6. Januar gefeiert, erzählt die 39-Jährige. „Aber die Ukraine gehört zu Europa“, setzt sie kämpferisch hinzu. „Und deswegen wollen wir Weihnachten auch am 24. Dezember zusammen mit den Europäern feiern.“

Unterschlupf bei Verwandten

Im März ist sie gemeinsam mit ihren beiden Kindern Liliya (15) und Timofii (8) aus der Hauptstadt Kiew nach Deutschland geflüchtet, gleich nach dem Einmarsch russischer Truppen in ihrer Heimat - so wie inzwischen rund 1,1 Millionen ihrer Landsleute. Mit dem Auto erreichten sie Hannover, fanden Unterschlupf bei Verwandten. Doch bald wurde es dort viel zu eng. Über den „Ukrainischen Verein in Niedersachsen“ hörten sie, dass Wohnungen im evangelischen Kloster Marienwerder frei sind. Seit rund einem halben Jahr lebt sie nun hier, gemeinsam mit drei anderen Familien.

Für sie alle wird es womöglich das schwierigste Weihnachten, das sie bisher erlebt haben. Denn ihre Gedanken sind stets bei den Angehörigen in der Heimat. „Wir wachen auf mit den Nachrichten, und wir gehen schlafen mit den Nachrichten“, sagt Anastasya. Über Telefon, Video und Internet halten sie Kontakt nach Hause. Doch das ist nicht einfach, denn wegen der russischen Bomben gibt es dort immer wieder Stromausfälle.

Ihr Mann hat ihr Bilder geschickt. „Das hier ist Kiew ohne Strom“, sagt Anastasya und zeigt ein Handy-Foto, auf dem gerade so die Umrisse von Straßen und Häusern zu erkennen sind. Und dann noch ein Foto einer riesigen Rauchwolke, aufgenommen tagsüber. Ihre Mutter hat es ihr geschickt.

Anastasya hat Heimweh

„Alles, was wir haben, ist da drüben“, sagt Anastasya. „Wir haben unser Leben von einem Moment auf den anderen in einen Koffer gepackt.“ Natürlich habe sie Heimweh. Aber auch Hoffnung, dass alles gut wird. „Wir möchten an Weihnachten nicht traurig werden“, sagt Anastasya fast trotzig. „Deshalb haben wir haben den Tannenbaum gekauft. Unsere Tochter soll sich auf etwas freuen können.“

Im Kloster teilt sich Anastasya eine Zweizimmerwohnung mit ihrer 40-jährigen Freundin Tetyana Vehner, die mit Mark (9) und Alisa (5) nach Hannover gekommen ist. „Wir sind nur wegen der Kinder hier“, erzählt die gelernte Krankenschwester. Für sie wäre es in Kiew viel zu gefährlich. „Hätten wir keine Kinder, würden wir sofort zurückgehen. Dann würden wir im Hospital die Verwundeten versorgen.“ Ihre Männer seien bei der Armee. „Sie verteidigen unser Land.“ Tetyana betont: „Unsere Kinder geben mir Kraft, Zuversicht und Hoffnung, das alles zu bewältigen.“

Es war ein Glück für die Ukrainer, dass die Wohnungen im Kloster Marienwerder wegen geplanter Bauarbeiten gerade frei waren. In dem Kloster lebt eine kleine Gemeinschaft evangelischer Frauen. „Das sind keine gut sanierten Wohnungen, aber besser als Messehallen“, erläutert Äbtissin Ulrike Kempe. Deshalb habe sie die Unterkünfte für Geflüchtete angeboten.

Mini-Jobber in einem Steinmetzbetrieb

Auch die Roskopins haben hier ein neues Domizil gefunden. Die Familie ist aus einem umkämpften Gebiet im Nordosten der Ukraine nach Marienwerder gekommen, aus Ochtyrka nahe Charkiw. Natalia Roskopina (34), eine gelernte Steinmetzin, und ihr Mann Olesksandr (35) arbeiten jetzt durch die Vermittlung des Klosters als Mini-Jobber in einem Steinmetz-Betrieb - obwohl Olesksandr eigentlich Schlosser ist.

Auch sie wollen zu Weihnachten ein Tannenbaum aufstellen. „Aber wir warten noch ab“, sagt Vater Oleksandr und lacht. „Wenn sie billiger werden, kaufen wir einen.“ Für die weihnachtliche Terminfrage hat die Familie eine praktische Lösung gefunden: „Wir feiern Weihnachten einfach zweimal, am 24. Dezember und am 6. Januar.“ Dann soll es sogar zweimal Geschenke geben. „Weihnachten ist natürlich mit Traurigkeit verbunden, weil wir nicht bei unseren Liebsten sein können“, sagt Oleksandr. „Aber trotzdem feiern wir hier Weihnachten, wie es bei uns Tradition ist.“

Michael Grau