Hamburg (epd). Weihnachten hat Ellen immer gemütlich mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater gefeiert - mit Fondue, Tannenbaum, schönen Geschenken. Bis sich im November 2021 ihre Mutter mit einer Erkältung ins Bett legte. „Sie wollte sich nur ausruhen“, erinnert sich die 16-Jährige. Doch ihre Mutter starb völlig unerwartet mit 47 Jahren. Für Ellen brach eine Welt zusammen, „ich habe nur funktioniert“.
Doch ein Jahr danach kann sie über ihren Verlust sprechen. Geholfen hat ihr die Jugendgruppe des „Hamburger Zentrums für Kinder und Jugendliche in Trauer“ der evangelischen Diakonie. Besonders vor den Feiertagen ist die professionelle Begleitung gefragt.
„Für trauernde Kinder und Jugendliche ist die hochemotionale Weihnachtszeit besonders schwierig“, weiß Trauerbegleiterin Johanna Eickhoff. Es sei die Zeit der Familie. „Gerade jetzt fällt besonders auf, wenn jemand fehlt“, sagt die Sozialpädagogin. Schulfreunde backen Kekse mit ihren Müttern, aber die eigene ist nicht mehr da. Eickhoff: „Vor den Feiertagen geht es für Betroffene darum, sich selbst zu stärken und zu schauen, was einem guttut.“ In ihren Gruppen könnten sich die Kinder und Jugendlichen gegenseitig stützen, über Verlust und Ängste sprechen.
Das fiel Ellen anfangs schwer, wurde sie doch aus allem herausgerissen. Aus der Wohnung in Neugraben, in der sie mit ihrer Mutter lebte, zog sie zum Stiefvater nach Barmbek. Schnell wurde ein Zimmer für sie eingerichtet, die Vormundschaft musste geklärt werden. Eine Woche nach dem Tod ihrer Mutter ging sie wieder zur Schule. „Ich brauchte möglichst schnell wieder Alltag“, sagt die 16-Jährige mit den braunen langen Haaren. Auch mit Freunden wollte sie nicht über den Verlust reden, keine Fragen beantworten und nicht in Watte gepackt werden.
Für ihre Mutter wünschte sich Ellen eine Seebestattung. „Ich hatte das Gefühl, dass Mama so freier ist als unter der Erde.“ Als Familie haben sie oft an der Nordsee Urlaub gemacht. Am meisten vermisst Ellen Alltägliches wie das Einkaufsritual mit ihrer Mutter. „Nach ihrer Arbeit und meiner Schule haben wir uns oft getroffen und waren im Supermarkt.“ Mittlerweile hat sich Ellen ein neues Leben in Barmbek aufgebaut, wechselte das Gymnasium, fand neue Schulfreunde und eine neue Handball-Mannschaft, im Sommer war sie das erste Mal mit ihrer besten Freundin in Frankreich. Sie lächelt: „Da konnte ich einfach mal entspannen.“
Seit acht Monaten besucht sie die Jugendgruppe in der Diakonie-Beratungsstelle, hier fühlte sie sich „anders“ verstanden, wie sie sagt. „Kinder und Jugendliche äußern ihre Trauer oft nicht direkt, sie wird deshalb oft übersehen“, erläutert Gruppenleiterin Eickhoff. Trauer sei mehr als nur ein Gefühl - dazu gehöre neben Traurigsein auch Wut, Aggression, Angst oder Freude. „In der Gemeinschaft erleben Kinder und Jugendliche, dass sie nicht allein sind und ihre widersprüchlichen Gedanken und Gefühle normal sind“, sagt die 30-jährige Expertin. Die Gruppen, die es für drei verschiedene Altersgruppen gibt, werden jeweils von zwei Trauerbegleiterinnen betreut.
Maximal acht Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind in einer Gruppe. Die meisten bleiben ein Jahr und lernen, wie der Tod in das eigene Leben integriert werden kann, und wie man den Blick auf die Gegenwart und Zukunft richtet. Der Bedarf ist groß: Alle Trauergruppen sind voll. „Vor allem für jüngere Kinder ist die Warteliste lang“, bedauert Eickhoff. Es fehlten die Kapazitäten, das Angebot „Kinder in Trauer“ sei auf Spenden angewiesen, die präventive Arbeit werde nicht von den Krankenkassen übernommen. Verstehen kann Eickhoff das nicht: „Unbewältigte Trauer kann langfristig seelische und körperliche Krankheiten verursachen.“
Ellen trägt als Andenken an ihre Mutter eine silberne Halskette mit einem Kreuz. „So ist Mama irgendwie immer bei mir, auch an Weihnachten“, sagt die Elftklässlerin und lächelt. Wie früher will sie das Fest nicht mehr feiern. Schon im vergangenen Jahr fuhr sie mit ihrem Stiefvater zu seiner Familie nach Westfalen. „Da feiern wir mit Oma, Tanten, Onkeln, Cousins und Cousinen“, erzählt Ellen, die den Trubel genießt. Nur eins ist wie immer: Es gibt Fondue.